Blutsgeschwister
zu Fancy unter den Mondbaum, atmete schwer und reinigte seine Stiefel von dem Glibber. »Du kannst dich jetzt aufsetzen, Hasenfuß.«
»Ich habe vor nichts Angst. Außer vor Monstern.«
»Aber du bist doch aus Stahl, Fancy. Schon vergessen? Also warum solltest du Angst vor so einem mickrigen Kreischer haben?«
»Es waren zwei, und ich bin aus Stahl. Halt einfach den Mund.« Fancy blieb im Gras liegen und bekämpfte den seltsamen Drang, einzuschlafen.
»Sie waren so damit beschäftigt, miteinander zu kämpfen – ich wundere mich, dass sie sich die Mühe gemacht haben, uns anzugreifen. Sie hätten es wahrscheinlich gelassen, wenn du nicht hingetrampelt wärst und sie erschreckt hättest.«
Ilan hob sie hoch, und Fancy ließ es zu. Sie staunte, wie stark er war, als sie sich an ihn kuschelte. »Fancy, es ist Paarungszeit.« Er klang, als würde er versuchen, nicht zu lachen. »Sie haben nicht gekämpft. Warum, glaubst du wohl, hatte deiner einen Ständer?«
Fancy erinnerte sich an den harten Stachel, der sich in ihren Rücken gebohrt hatte. »Kotz. Und hör auf, mich auszulachen. Entschuldige, dass ich nicht so fasziniert von Monstergenitalien bin wie gewisse Leute.«
»Ich hab nie gesagt, ich sei kein Perverser.«
»Ich vermute mal, das liegt in der Familie.«
Ilan erstarrte neben ihr.
»Na ja, er ist ein Perverser. Wie würde es dir gehen, wenn ein perverser Spinner mit deiner Schwester zusammen wäre? Würdest du nicht alles tun, um sie zu beschützen?«
Ilan blieb stumm.
»Du sitzt unter einem Mondbaum«, erinnerte sie ihn. »Du musst die Wahrheit sagen.« Sie pflückte eine süße Mondblume und hielt sie wie ein Mikrofon vor Ilans Mund.
»Gabe würde deiner Schwester nie wehtun.«
»Natürlich würde er. Und es wäre nicht das erste Mal, dass er jemandem wehtut, den er liebt. Nicht wahr, Ilan?«
Ilan rückte von ihr ab. »Was willst du damit sagen?«
»Ich will damit sagen, dass ich eins deiner Geheimnisse kenne.«
»Gabe hat Pop geliebt. Also egal, was für verrückte Sachen du denkst …«
»Dass Gabriel derjenige ist, der durchgeknallt ist und Mr. Turner umgebracht hat, nicht …«
»Hör auf, es zu denken!«
Fancy wusste, dass sie eigentlich verärgert sein sollte, weil er ihr gegenüber die Stimme erhob, aber da war etwas … Aufregendes an der Art, wie er sie anschrie.
»Selbst wenn Gabe ihn umgebracht hätte«, fuhr er fort, ohne Fancys Gedanken zu erahnen, »selbst wenn Gabe einen ganzen Bus voller Leute umgebracht hätte, wer bist du, über ihn zu richten?«
Fancy beschloss, sich zurückzuhalten. Nicht, weil sie sich vor Ilans Wut fürchtete, sondern weil sie jenseits seiner Wut den Schmerz hören konnte. »Verwandte sind Schmerz«, sagte sie, mehr zu sich selbst.
Er seufzte seinen Ärger mit einem langen Atemzug weg. »Du hast keine verfluchte Ahnung.«
Fancy wollte ihm nicht wehtun. Aber sie hatte kein Problem damit, ihn aufzuziehen. »Ich weiß ein paar Sachen.«
»Zum Beispiel?«
»Ich weiß, was du mit mir machen willst. Ich hab davon geträumt …« Fancy fiel etwas ein – Ilan eingerahmt vom Fenster –, aber sie vergaß es gleich wieder. Sie berührte sein Gesicht, sah das Mondlicht in seinen Augen leuchten. Es war nicht annähernd genug Licht für das, was sie sehen wollte. Weil sie alles sehen wollte. »Oder vielleicht hast du dich so über die ganze Ich-hasse-Gabriel -Situation aufgeregt, dass du mich nicht mehr willst?«
»Ich will dich immer noch.« Ilan berührte ihr Gesicht, wie sie seins berührte. »Ich liebe Gabe nicht so sehr.«
Fancy lachte. Sie war erleichtert und auch etwas ehrfürchtig, dass so ein verständnisvoller Junge jemanden wie sie wollte. »Hast du noch meine Kirsche?«
»Nö.« Sie fühlte, wie sich seine Wangen zu einem Lächeln verzogen. »Aufgegessen. Konnte nicht widerstehen.«
»Wie war sie?«
»Süß.« Er beugte sich vor und küsste sie.
»Warte.« Fancy stieß ihn zurück und verfluchte die Dunkelheit, die sein Gesicht versteckte.
»Immer noch nicht reif?«, fragte er, gab ihr Raum. Er schien enttäuscht, aber nicht überrascht.
»Ich will ja, dass du mich küsst«, erklärte sie. »Sag mir nur vorher Bescheid. Damit ich mich drauf konzentrieren kann.«
»Okay«, sagte Ilan lachend, aber er nahm sie ernst. »Auf die Plätze. Fertig. Los.« Als er sie diesmal küsste, stieß sie ihn nicht weg.
Er schmeckte schläfrig. Wie ein Traum. Sie behielt ihre Hände auf seinem Gesicht und dachte, wenn sie aufhörte, ihn zu berühren,
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