Blutsgeschwister
du kalte Hände?«, fragte sie und warf einen eindringlichen Blick auf Fancys Hand, die in Ilans Hose vergraben war.
»Ich würde euch mit dem Gartenschlauch traktieren«, sagte Madda und lachte fast, als Fancy von Ilan herunterwieselte, »aber es sieht so aus, als wärt ihr mir zuvorgekommen. Stellt das Ding ab und hört auf, Wasser zu verschwenden.«
Fancy drehte den Hahn ab. »Wir wollten nur …«
Madda winkte ab. »Ich bin nicht so alt, dass man mir das erklären müsste. Wie geht’s dir, Ilan?«
»Großartig, Miz Lynne.« Er war auf den Beinen, ordnete seine Hose und schaute überall hin außer in Maddas Augen. »Wunderbar, wirklich.«
»Meinst du nicht, es wäre ein wunderbarer Moment, nach Hause zu gehen?«, fragte sie.
»Ja, Ma’am. Ich hab gerade genau dasselbe gedacht.«
Fancy stellte sich neben ihn. »Ich bring ihn zum Auto.«
»Mach das.«
Fancy und Ilan schlichen mit brennenden Gesichtern zur Auffahrt. Maddas fröhlicher Umgang mit der Situation hätte eine Erleichterung sein sollen, aber Fancy fand es wahnsinnig ärgerlich.
»Das überleb ich nicht«, sagte sie, als sie an seinem Oldsmobile angekommen waren.
»Ach, lass ihr den Spaß. Ihr Baby ist jetzt erwachsen.« Ilan zupfte an ihrem nassen, schlammigen Kleid und seufzte wehmütig, während er sie von oben bis unten musterte. »Ich weiß jedenfalls, dass ich meinen Spaß habe.«
Am Samstag stieg Fancy auf das Dach des Pinkerton Hotels. Der Regen hatte aufgehört, aber die Wolken hingen immer noch unheilvoll und tief am Himmel. Sie ging zum Rand des Dachs, vorbei an den großen metallenen Entlüftern und surrenden Ventilatoren. Das schwarze Hemdkleid, das sie aus Maddas Schrank geklaut hatte, wurde vom Wind gegen ihren Körper gepresst. Sie lehnte sich mit den Ellenbogen auf einen breiten, feuchten Vorsprung und sah über den Fountain Square.
Tief hängende, sich auftürmende Wolken ließen die Häuser wie Spielzeug erscheinen. Hier in dem flacheren, vergleichsweise baumlosen Teil von Portero musste Fancy nicht durch die Bäume hinaufschauen, um den Himmel zu sehen. Er war überall um sie herum.
Ilan hatte ihr gesagt, sie solle dort oben auf ihn warten. Kit war immer noch mit Gabe unterwegs, würde aber morgen zurück sein. Fancy war froh, dass Ilan sie angerufen hatte und sie sehen wollte. Sonst würde sie zu Hause sitzen und schlechte Laune haben. Madda hatte recht. Manchmal war es praktisch, Freunde zu haben.
Nach kurzer Zeit tauchte Ilan mit einem Servierwagen auf, den er aus der Küche stibitzt hatte. Er trug noch seine rote Pagenuniform, ein willkommener Farbklecks in dem ganzen Grau.
»Sie werden dich rausschmeißen.«
»Bitte.« Er glättete ihr schleifenfreies, vom Wind zerzaustes Haar und küsste sie. »Ich weiß zu viele schmutzige Details über zu viele Leute in diesem Hotel. Wusstest du, dass sich der Manager mit den Wäschereimitarbeitern zudröhnt? Es ist hier wie in einer Soap. Dass ich Essen für meine Freundin aufs Dach schmuggle, fällt nicht mal auf.«
Fancys Augen weiteten sich, als er sie so beiläufig als seine Freundin bezeichnete. Aber sie sagte nichts. »Was hast du mitgebracht?«
»Obst. Sopaipillas. Tomatensalat. Mint Julep.«
»Echt?« Fancy hatte noch nie zuvor einen Cocktail getrunken.
»Sie nennen es jedenfalls Mint Julep.« Er setzte sich neben sie und goss jedem ein Glas ein. »Aber schau es dir an. Es sollte nicht so hellgrün sein wie dieses Zeug.«
Fancy probierte ihren. »Oooh, es ist aber lecker.«
Sie saßen mit dem Rücken an den Gebäudevorsprung gelehnt und tranken und schlemmten eine Weile schweigend, bevor sie wieder zu reden begannen. Erst über unwichtige Sachen wie den Regen und ob er wohl wegbleiben würde, aber sie waren schnell bei wichtigeren Themen und widmeten sich ihnen mit Erleichterung.
»Ich verstehe nicht, warum alle so scharf darauf sind, Daddy sterben zu sehen, nur weil er ihre Angehörigen umgebracht hat. Es ist, als wollten sie etwas ausgleichen. Ist das wie damals, als sie Frauen verbrannten, wenn eine Kuh krank wurde oder so? Das Leben von einem Menschen kann doch nicht mit dem von einem anderen Menschen ersetzt werden. Menschen sind doch nicht austauschbar.«
»Wenn du die Menschen so sehr magst und findest, dass sie so wertvoll sind, warum bringst du sie um?«
»Ich hab nicht gesagt, dass sie wertvoll sind. Ich hab gesagt, sie sind nicht austauschbar. Zum Beispiel, wenn ich dich töten will, dann bringt es mir gar nichts, Gabriel zu töten. Oder wenn ich
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