Blutsgeschwister
Schädel von innen blank zu scheuern, um die nervigen Nachdenklichkeitsanfälle wegzuschrubben, die ihn immer wieder verdreckten.
»Du hast es selbst gesagt«, erwiderte Kit und stapfte die Kellertreppe hinauf. »Jeder muss irgendwann mal flügge werden.«
»Ich hab doch nicht von dir gesprochen«, rief Fancy, aber Kit war schon weg.
Nun, da Kit beschlossen hatte, in den Musikunterricht zu gehen, sah Fancy keinen Grund dafür, zu Hause zu bleiben und immer dümmer zu werden, während Kit sich fortbildete und klüger wurde. Also nahm sie ihr Fahrrad und fuhr runter zum Fountain Square, wo das Standard war, ein altes Kino mit Bühnenvorhängen und Zuschauerrängen.
Der Kunstunterricht wurde allerdings nicht in dem hübschen Teil des Kinos abgehalten, sondern auf dem Speicher, der nur über eine enge Metalltreppe erreicht werden konnte, die sich hinaufwand wie eine Wasserrutsche. Zahlreiche Ventilatoren drehten sich in dem Raum, und doch war es nahezu wie in einem Backofen. Fast sofort bildeten sich Schweißperlen auf Fancys Gesicht. Der Geruch von Farbe und Essiggurken ließ sie die Nase rümpfen, während sie an Werken von Schülern vorbeiging, die an der Wand hingen, um zu den paarweise angeordneten Stühlen und Staffeleien zu gelangen, die im Kreis aufgestellt waren. Der Raum war groß, aber der Kurs klein, er bestand nur aus einer Handvoll Schülern, alle ungefähr in Fancys Alter: Ein paar hatte sie schon an der Highschool gesehen, aber nur von einem kannte sie den Namen.
»Hey, Fancy.«
Fancy setzte sich auf den Stuhl neben Ilan. Sie musste dort sitzen, es war der einzig freie Platz im Raum.
Er sah selbst wie ein Kunstwerk aus, als wäre er eigens modelliert worden, um von jedem Winkel aus gut auszusehen. Ganz egal, wie er seinen Körper drehte, das Licht traf ihn auf spektakuläre Weise. Seine Fingernägel hatten phthalogrüne Flecken. Sie versuchte sich vorzustellen, dass seine Nägel mit Blut befleckt waren, so wie ihre manchmal, aber sie entschied, dass ihm Grün sehr viel besser stand.
Er beugte sich zu ihr und sagte: »Ich habe von dir geträumt.«
Er roch wie ein Berg. Fancy hatte keine Ahnung, wie Berge rochen, aber eine Mischung aus sonnenverbrannten Steinen und Tannenwäldern schien ungefähr hinzukommen. Er lehnte sich wieder zurück und nahm seinen Geruch mit, sodass ihr nur die Essiggurken blieben.
Da sie paarweise saßen, ließ der Lehrer, Mr. Hofstram, sie sich zum Einstieg gegenseitig malen. Eine künstlerische Visitenkarte nannte er es.
Ilan zeichnete schnell und war fertig, bevor die Zeit um war. Fancy starrte auf das Papier, das er ihr gegeben hatte: eine geschickte Zeichnung von ihnen beiden, wie sie sich küssten.
»Davon habe ich geträumt.« Er legte seinen Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls. Fancy dachte darüber nach, ihm mit einem der Schablonenmesser, die unvernünftigerweise im Raum verstreut lagen, in den Arm zu stechen. Aber anders als Kit war sie es gewohnt, solchen Gelüsten zu widerstehen.
»Meine Träume werden immer wahr. Wusstest du das?«
Sie beschloss, ihm nie wieder in die Augen zu sehen. Es fühlte sich zu sehr an, als würde man über den Rand einer Schlucht gestoßen.
Statt einer Antwort zeichnete Fancy selbst etwas. Sie benutzte dieselben Buntstifte und brauchte sogar weniger Zeit für ihre Zeichnung als Ilan. Dann gab sie ihm das Blatt.
»Fall. Tot. Um.« Ilan drehte das Blatt in verschiedene Richtungen und betrachtete die Buchstaben. »Das ist nicht wirklich eine Zeichnung.« Aber er lächelte, als er sprach, ein Lächeln, das sie wie ein Felsbrocken auf der Brust traf.
Dass er wusste, wie er sie angreifen musste, ohne sie auch nur zu berühren, war wirklich nicht fair. Fancy war sich klar, dass sie bei Ilan aufpassen musste. Er war gerissen.
Die »Fall-tot-um«-Zeichnung war die beste Arbeit, die Fancy in den nächsten zwei Wochen ablieferte. Sie war schmerzlich unbegabt, wie Mr. Hofstram ihr gerne immer wieder bestätigte.
Sie kam nach Hause, wo Kit am Klavier saß und übte. Fancy ließ sich neben ihr auf die Bank fallen und warf die Arme um ihren Hals. Kit musste lachen.
»Wie war der Kurs?«, fragte sie, als wüsste sie die Antwort nicht schon.
»Ich kacke immer noch ab. Der Raum ist immer noch zu heiß. Mich ignorieren immer noch alle.« Nicht alle, aber sie sah ihn nicht nur nicht an, sie weigerte sich auch, etwas von Ilan zu erzählen, weigerte sich sogar, seinen Namen auszusprechen. Sein Interesse an ihr war so unerklärlich, dass Fancy
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