Blutsgeschwister
kommen.«
»Wir sollten noch nicht aufgeben. Du weißt doch, dass du nur auf kleinen Flächen etwas sehen kannst: auf einer Pfütze oder in einer Tasse …«
»Natürlich!« Fancy schoss hoch und begutachtete die Ausdehnung der bewaldeten Ländereien. »Hier ist einfach zu viel Fläche!«
Die Schwestern rannten ins Haus und kurbelten im mit Fensterläden verschlossenen Wohnzimmer das Kinetoskop an. Die Wände flackerten leicht, aber das war alles.
»Na ja, das ist der größte Raum im Haus«, sagte Fancy und betrachtete die hohen Decken und die großen, geschlossenen Fenster.
Als Nächstes probierten sie es in der Stube, wie sie ihr Zimmer nannten, in das man von der Schlafveranda aus gelangte. Es war einer der kleineren Räume im Haus, abgesehen von den Badezimmern. Fancy drehte einmal die Kurbel und fiel dann in Kits Gelächter ein, als der glückliche Ort sofort an den Wänden erschien. Sie spürte, wie das Kinetoskop aus ihren Händen verschwand, also hörte sie auf zu kurbeln, bevor der glückliche Ort vollständig erschienen war, und die Wände wurden wieder wie zuvor.
»So, das hätten wir.« Fancy ließ sich aufs Bett fallen.
»Wir müssen also in einem kleinen, geschlossenen Raum sein, sonst funktioniert es nicht. Und das bedeutet: Statt die Leute in unseren Keller zu holen, müssen wir sie dazu bringen, uns in ihr Haus zu lassen. Damit wir sie abschlachten können.«
»Du kannst doch gut mit Leuten reden«, sagte Fancy und wunderte sich über die Unsicherheit in Kits sonst immer so selbstsicherer Stimme.
»Ich weiß, aber … Manchmal, wenn man mit Leuten redet, werden sie irgendwie interessant. Interessante Leute bringt man nicht so leicht um wie, sagen wir, Dumpfbacken.«
»Wenn sie böse genug sind, ist es egal, wie interessant sie sind.« Sie stand auf und balancierte das Kinetoskop auf ihrer Hüfte. »Hol das Ohr von dem Alten. Und ein Steakmesser.«
»Warum?«
»Weil es am glücklichen Ort sicherer ist als hier, wo Madda es finden kann.«
»Und das Messer?«
»Zum Erstechen.«
Kit huschte in die Küche und kam ein paar Minuten später mit einem Steakmesser und dem Glas, in dem das abgetrennte Ohr war, zurück. »Wie viele Ohren passen in das Ding, was glaubst du?«, fragte Kit.
Fancy steckte das Glas und das Messer in ihre Tasche. »Das sollten wir herausfinden, oder?«
AUS FANCYS TRAUMTAGEBUCH:
Ilan rannte im Unterricht auf mich zu und umarmte mich fest. Ich sagte ihm, er solle verschwinden, aber er zeigte mir eine Zeichnung von uns, wie wir uns umarmten, und sagte, ich müsste ihn lassen. Ich wandte ein, dass es eine gefälschte Zeichnung war, weil wir uns auf der echten küssten, und er sagte, na gut, dann küssen wir uns! Aber statt seine Lippen zu küssen, biss ich sie. Fest.
KAPITEL ZWÖLF
Die Schwestern mussten zwei Stunden lang mit ihren Fahrrädern die Oberstadt durchqueren, bis sie endlich eine böse Situation entdeckten: Fünf Jungs, nur wenige Jahre älter als Kit, schlugen einen anderen Jungen auf dem Parkplatz des Wyverly Parks zusammen, der ein paar Meilen von ihrem Haus entfernt lag.
Die Jungs waren Frems, Fremdlinge, so bezeichneten die Porteraner diejenigen, die von außerhalb in ihre Stadt kamen, weil sie fast nie lange genug blieben, um nicht mehr fremd zu sein. Frems waren nicht so tapfer wie die Porteraner und rannten fast alle nach ziemlich kurzer Zeit entweder vor Angst schreiend aus der Stadt oder wurden von Monstern gefressen. Natürlich gab es auch ein paar wenige besondere Individuen, die in die Stadt zogen und einfach nicht aufgaben.
Diese Jungs waren jedenfalls nichts Besonderes.
Die Schwestern blieben am Rand des Parkplatzes stehen und sahen zu, aber die Jungs waren so auf ihr Opfer konzentriert, dass sie sie nicht bemerkten.
»Wisst ihr, wie selten es vorkommt, dass man einen von diesen Spinnern allein in die Finger bekommt?«, bemerkte einer der Jungs, der eine getönte Pilotenbrille trug. Er sprach mit einem Jungen im orangefarbenen T-Shirt der Longhorns. Die beiden nahmen nicht an der Schlägerei teil, sondern saßen im Schatten auf der Motorhaube eines roten Escalades und tranken Bier.
»Ich weiß«, sagte Longhorn. »Warum bist du allein, Spinner?«, rief er. »Bist du so ein Spinner, dass sogar in einer Stadt voller Spinner keiner was mit dir zu tun haben will?«
»Oder haben die Monster alle deine Freunde aufgefressen«, fragte der Pilotenjunge, »und du bist jetzt der einzige Überlebende?« Alle Jungs lachten darüber.
»Warum
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