Blutsgeschwister
ihres wilden Ritts mit Longhorn musste sie die Pilotenbrille verloren haben. Sie hüpfte auf der Stelle herum wie ein Sprinter, bevor das Rennen losging. »Wollen wir ihn jagen?«
»Nicht nötig. Lakaien!« Fancy schnippte mit den Fingern. »Findet den tätowierten Jungen und bringt ihn sofort her.«
Die Lakaien verschwanden durch die Hecke, die den Garten vom Rest des glücklichen Orts trennte, und Fancy grinste von einem Ohr zum anderen. »Wie cool ist das denn?«
Kit fand es offenbar eher verrückt als cool – sie hatte aufgehört zu springen. »Wer sind diese Typen?«
»Glücklicher-Ort-Leute. Und Glücklicher-Ort-Leute müssen tun, was ich will. Schau.« Fancy starrte konzentriert auf die Hecke, und ein paar Sekunden später kamen Leute herein und trugen Sessel und einen Eimer mit Eis und Getränken. Sie waren nicht weiß gekleidet wie die Lakaien. Es waren ganz normale Leute, Frauen und Männer und sogar ein kleines Kind, die alle sehr froh darüber schienen, Fancy jede erdenkliche Hilfe anbieten zu können. Als sie ihnen zeigte, wo sie die Sessel auf der Plattform abstellen sollten, fiel ihr auf, dass Glücklicher-Ort-Leute, anders als Kit und die herumliegenden Toten, keinen Schatten warfen. Die Statuen ebenfalls nicht.
»Ihr könnt jetzt gehen«, sagte Fancy und versuchte, sich nicht zu gruseln, als sie leise an ihr vorbeieilten und den Garten verließen.
»Wow«, sagte Kit und sah erfreulich beeindruckt aus, als sie sich mit einer Flasche Limonade hinsetzte. »Das ist ein Leben.«
Fancy setzte sich in ihren eigenen Sessel und stieß mit ihrer Schwester an. Sie freute sich, sie mit so guter Laune zu sehen, nach ihrem ganzen Gejammer über ihre Unfähigkeit, mit anderen Leuten »Kontakt aufzunehmen«. Was auch immer das bedeuten sollte. »Hast du noch ein paar Ohren bekommen?«, fragte sie.
Kit erschrak und erstickte fast an ihrer Limonade. »Ich hab’s vergessen! Warte.« Kit rannte von der Plattform, das Messer in der Hand, und Fancy sah zu, wie sie von Leiche zu Leiche schwirrte, um Ohren zu sammeln, wie eine Biene Pollen. Kit kam mit vier Ohren, die sie in ihrer Hand gestapelt hatte, zurück.
»Ich will sie aber nicht zu ihm legen«, sagte sie, als Fancy das Glas aus ihrer Tasche holte und den Deckel aufschraubte. Sie drohte dem Ohr des Alten mit dem Zeigefinger. »Das hättest du wohl gerne, frisches Fleisch von den Jungs, was?«
Der Gestank, der aus dem Glas stieg, ließ Fancy das Gesicht verziehen. »Wir müssen das Ding vergraben. Das ist eklig.«
»Ich dachte erst daran, es zu konservieren, aber Verwesung hat ihre eigene Schönheit. Stell dich nicht so an.«
Einer der runden, mit Erde gefüllten Steinkreise, die die Statuen trennten, zog Fancys Blick auf sich.
Sie ging darauf zu, setzte sich auf die Steinmauer und versuchte, das Ohr des Alten in den Dreck zu schütten. Aber das Ohr steckte am Boden des Glases fest, also vergrub sie das gesamte Ding mit Deckel und allem und drückte es in die Erde, die so weich war, dass sie nicht graben musste.
Sie sah sich nach ihrer Schwester um, dann verdrehte sie die Augen. »Kit, hör auf, die Statue zu belästigen, und bring die Ohren her.«
Kit hatte ihren Kopf unter den Lendenschurz einer männlichen Statue gesteckt. Sie zog ihn hervor. »Wusstest du, dass diese Dinger anatomisch korrekt sind?«
» Kit!«
»Schon gut, ja. Ich komme.«
Sie gab Fancy die Ohren und sah ihr dabei zu, wie sie sie im Kreis um den Punkt herum beerdigte, an dem sie das Glas vergraben hatte. Wenig später kamen die Lakaien in den Garten zurück.
»Lasst mich los, lasst mich los!«, schrie der tätowierte Junge, als die Lakaien ihn vor sich herstießen. Er hatte ein paar Kratzer und Prellungen, als hätte er sich ziemlich gewehrt, aber ansonsten fehlte ihm nichts.
Die Schwestern kamen von der Plattform herunter und gesellten sich zu den Lakaien.
»Lasst mich los!«, schrie der Junge wieder.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Kit. »Wieder nach Hause, damit du andere Leute zusammenschlagen kannst, nur weil sie anders sind? Wie hast du den Jungen beim Park genannt, einen Spinner? Willst du mal eine echte Spinnerin kennenlernen?« Sie zeigte ihm ihr Messer.
»Es tut mir leid!«
»Darauf wette ich aber.«
»Ehrlich. Wir sind mit den Geschichten über euch aufgewachsen.« Er sprach schnell, die Augen auf das Messer geheftet. »Wir wussten doch nicht, dass sie wahr sind!«
»Geschichten?« Kit tauschte einen Blick mit Fancy. »Über uns?«
Ȇber Porteraner.
Weitere Kostenlose Bücher