Blutsgeschwister
ist ganz komisch«, sagte Selenicera. Noch bevor sie den Satz beendet hatte, brachen Flügel aus ihrem Rücken und zerrissen ihr Nachthemd – nicht Engelsflügel wie bei Kit, sondern Schmetterlingsflügel. Smaragdgrüne mit passenden Fühlern, die auf ihrem Kopf wackelten. Die Schwestern lachten, als sie sie sahen.
Fancy hielt ein leeres silbernes Tablett hoch, damit Selenicera sich sehen konnte. »Schau.«
»Ich bin ein Schmetterling?« Sie schien eher erstaunt als verärgert.
»Das ist niedlicher als das, was du vorher warst«, sagte Kit. »Ein Pilz, der in der Dunkelheit wächst.«
»Sehr viel niedlicher«, stimmte Selenicera zu und nahm Fancy das Tablett ab, um sich nach Belieben bewundern zu können.
Datura hingegen sah gar nicht niedlich aus. Sie schwoll an und quoll auf und verfärbte sich von weiß zu grünlich braun. Ihr Mund wurde dünner und breiter, bis sie aussah wie eine Kröte. Sie schrie auch wie eine, kehlig und krächzig, als sie die Lakaien anwies, ihr mehr Tee zu bringen – der unstillbare Durst, den die Schwestern als Erstes bei ihr bemerkt hatten, war noch immer vorhanden.
Verblüfft betrachtete Kit die Woodsons, dann nahm sie sich ein Tablett und sah sich an. »Warum haben wir uns nicht verändert?«, fragte sie enttäuscht.
»Der Tee soll zeigen, wie man innen drin aussieht. Damit Datura selbst sehen kann, wer gut ist und wer nicht.«
»Wir haben auch davon getrunken.«
Fancy zuckte die Schultern. »Das sind wir nun mal.«
»Also, dann sind wir gut?« Kit hielt inne, wie um nachzuhören, was sie gerade gesagt hatte. »Ist das möglich?«
» Sie ist gut.« Fancy deutete mit dem Kopf auf Selenicera, die mit ihren Fühlern wackelte und die Flügel ausbreitete.
»Ich glaube, das Gute ist flexibel genug, um uns beide einzuschließen«, beharrte Kit. »Ich glaube, das ist möglich. Wir haben uns nicht in Kröten verwandelt.«
»Was nicht bedeutet, dass wir Heilige sind.«
»Es geht nicht darum, Heilige oder Sünder oder gut oder böse zu sein, Fancy. Es geht darum, beides zu sein. Verstehst du? Darum, vollständig zu sein.«
»Kann ich fliegen?«, fragte Selenicera, entweder, um die Erlaubnis zu erhalten, oder um zu erfahren, ob es möglich war.
Fancy nagte an einem der winzigen Sandwiches. »Probier es aus«, sagte sie abwesend und fragte sich, warum Kit sich so auf das Gute versteift hatte.
Selenicera schoss mit einem Jauchzen in die Luft, aber Daturas Zunge peitschte in Formel-1-Geschwindigkeit bis ans andere Ende des Tischs und traf Selenicera an der Brust. Ihre klebrige Zunge hielt ihre Schwester fest. Kit streckte beiläufig den Arm aus und trennte die Verbindung mit ihrem Messer.
Sobald sie frei war, schoss Selenicera in die Luft, lachte, flatterte um den Tisch und fegte den Zucker aus der Schale.
Datura rollte den Rest ihrer blutenden Zunge ein, warf dabei Teetassen um und hinterließ Blut auf den Sandwiches. Sie schrie nach mehr Tee und war so vom Durst besessen, dass ihr völlig egal zu sein schien, dass das Getränk, um das sie bat, sie in eine Kröte verwandelt hatte.
Die Glücklicher-Ort-Leute kamen kurz zurück, um das verdorbene Essen abzuräumen – mitsamt der abgetrennten Zunge, die so widerlich war, dass nicht einmal Kit sie als Trophäe wollte – und es mit neuen Sandwiches und Kuchen zu ersetzen. Selenicera landete in ihrem Stuhl und griff zu, aber Datura wollte nur Tee.
»Komm schon«, lockte Kit mit einem Bissen Kirschtorte. »Sogar gewöhnliche Verbrecher bekommen eine Henkersmahlzeit. Das gehört sich so.«
»Ich hab keinen Hunger.« Daturas abgetrennte Zunge ließ ihre Worte seltsam klingen.
»Was, wenn ich dir eine ganz besondere Frucht gebe?«, fragte Fancy. »Man findet sie nur hier. Du magst doch Pflanzen. Schau dir mal diese Bäume dort drüben an.«
Datura musterte die Bäume, die zwischen den Statuen wuchsen. Der Baum der Tänzerin war in Abwesenheit der Schwestern hochgewachsen und hatte Blätter aus Feuer bekommen. Aber es war der Baum des Alten mit seinen blutroten Früchten, der Daturas Aufmerksamkeit fesselte.
»Was für ein Baum ist das?«, fragte sie.
»Das ist der geilerius alterbockanius«, sagte Fancy.
Kit prustete in ihre Teetasse.
»Die Früchte dieses Baums stimulieren einen sündhaften Appetit«, erklärte Fancy. »Willst du sie probieren? Du wärst die Erste.«
»Ich hol sie!« Selenicera schoss hoch, wobei ihre smaragdgrünen Flügel Fancys Haar zerzausten, flog zu dem Baum und pflückte die Frucht. Sie flatterte zu
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