Blutsgeschwister
dafür. Wir können Leute umbringen, ohne sie zu erstechen oder uns die Hände schmutzig zu machen.«
Kit hielt ihre blutverschmierten Hände hoch.
Fancy verzog das Gesicht. »Ich muss nur noch an ein paar Sachen arbeiten.«
Kit sah sich selbst im Spiegel an. Fancy hatte keine Ahnung, was ihre Schwester sah, aber was auch immer es war, es schien sie entsetzlich zu deprimieren.
»Ich vermute mal, es gibt wirklich keinen Grund mehr, Leute zu erstechen.« Kit nahm Daturas Zahn aus ihrer Tasche und warf ihn in den Abfalleimer neben der Toilette, aber Fancy sprang vor und angelte ihn heraus.
Sie schwenkte den Zahn vor Kits Gesicht. »Es gibt auch keinen Grund, den glücklichen Ort zu haben, wenn du überall Spuren wie Weihnachtskekse hinterlässt, damit jeder sie finden kann!«
Kit seufzte so tief, als käme es aus ihren Zehen, und setzte sich auf den Wannenrand. Dann lächelte sie Selenicera an, die die beiden Schwestern nervös betrachtete. »Keine Sorge, Kleines. Ich werde dich nicht töten. Ich habe beschlossen, zum richtigen Zeitpunkt aufzuhören.« Sie sah anerkennend an ihrem blutbeschmierten Körper herab. »Wäre doch eine Schande, wenn ich mich in eine Kröte verwandeln würde.«
AUS FANCYS TRAUMTAGEBUCH:
Madda brachte uns zu einem Friedhof, auf dem überall Daddys Opfer lagen. Kit wurde jedes Mal sauer, wenn Madda und ich Blumen auf ihre Gräber legten. Sie sagte dauernd: Könnt ihr nicht hören, wie sie da unten schreien?
KAPITEL SECHZEHN
Die Schwestern kamen frisch und sauber und gerade rechtzeitig zum Frühstück mit Madda nach Hause. Sie hatten Selenicera mitgebracht, da ihr Haus auf dem Weg zum Busbahnhof lag. Sie hielten sie in der Stube versteckt, während sie mit Madda schwatzten und in einem Frühstück stocherten, auf das sie keinen Appetit hatten. Als Madda sich endlich schlafen gelegt hatte, schmuggelten sie Selenicera aus dem Haus und brachte sie ungefähr eine Meile den Camino Real runter zum Busbahnhof, einem müden Verschlag aus Holz, mehr Baracke als Bahnhof. Nachdem Selenicera ihren Bruder in Houston angerufen und ihm gesagt hatte, er solle sie dort am Busbahnhof abholen, kaufte Kit ihr einen Fahrschein und gab ihr sogar noch zusätzliches Geld, damit sie sich auf dem Weg zu ihrem Bruder noch etwas zu essen kaufen konnte.
Die Schwestern wären nun gegangen, aber Selenicera musste ungefähr eine Stunde warten. Sie war ganz anders als das Mädchen, das sie aus Daturas seltsamem Gartenzimmer gerettet hatten: ein Schmetterling – auch ohne die Flügel –, gesund, aber erschreckend zerbrechlich. Ohne darüber reden zu müssen, gesellten sich die Schwestern zu ihr auf die Bank und warteten auf den Bus. Kit ging in den Bahnhof und kaufte ein paar pinkfarbene Haargummis. Sie vertrieb sich die Zeit damit, mit Fancys Haar zu spielen, während Selenicera zwischen Sonne und Schatten herumhopste.
Als endlich ein staubiger Bus schnaufend vor dem Bahnhof hielt, rannte Selenicera los, um einzusteigen. Fancy war nicht darüber erstaunt, dass sie es so eilig hatte, von ihnen wegzukommen, aber sie staunte doch sehr, als Selenicera ein Fenster öffnete, sich hinauslehnte und sich bei ihnen bedankte.
»Gern geschehen.« Kit scharrte mit den Füßen und grinste verlegen. »Tut mir leid, dass ich dich vorhin umbringen wollte. Nimm’s nicht persönlich.«
»Schon gut«, sagte Selenicera ernst und drehte sich etwas zur Sonne. »Ihr seid wie Rottweiler – sie beschützen dich vor Einbrechern, aber nichts schützt dich vor ihnen.«
Fancy fand das zum Totlachen. Kit nicht.
»Ein Rottweiler?«, rief sie, als der Bus zwischen den Bäumen verschwand. »So sehen mich die Leute?«
Die Schwestern verließen die Straße und nahmen den langen Weg zurück über den Sayer’s Trail durch den Wald, damit sie von den reifen, glänzenden Brombeeren, die am Wegesrand wuchsen, essen konnten.
»Du bist eher ein Goldesel als ein Hund«, sagte Fancy. »Du machst, dass jeder durch uns reich wird.«
»Hä?«
»Wir sollten kein Geld mehr raushauen, um unseren Klienten die Spesen zu bezahlen …«
» Klienten?«
»Na ja, wir bieten einen Service an.« Sie mussten im Gänsemarsch über eine Holzbrücke gehen, die über den Bach unter ihnen führte. Eichhörnchen sprangen durch die Zweige über ihren Köpfen. » Wir sollten bezahlt werden.«
»Vergiss das Geld, Fancy. Wir sollen den Leuten helfen.«
»Das bedeutet nicht, dass wir im Armenhaus enden müssen. Und da ist noch was anderes: Warum hast du das ganze Geld
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