Blutsgeschwister
meiste Zeit kackst du ab. Größtenteils weiß ich nicht mal, was das alles sein soll. Vielleicht braucht du eine Brille oder so was.«
»Danke.« Fancy warf Bearzilla an Kits Kopf und beendete ihren Tagebucheintrag, wobei sie ihre ordentliche, schöne Handschrift bewunderte. Normalerweise schrieb sie ihre Träume auf, während sie noch im Halbschlaf war. Dann purzelten die Worte über die gesamte Seite und durcheinander, und sie hatte Schwierigkeiten, sie zu entziffern. Aber an diesen Traum erinnerte sie sich sehr gut beim Aufwachen. Ihre Oberschenkel kribbelten noch von den Hundebissen aus ihrem Traum.
»Was hast du geträumt?«, fragte Kit, als Fancy ihr Traumtagebuch unter das Kissen schob.
»Hunde haben mich gejagt.«
»Ich hab auch geträumt, dass ich gejagt wurde. Aber nicht von einem Hund. Von einem Jungen.« Kit lächelte auf eine Art, die Fancy hasste. »Er hatte Laseraugen, und ich konnte mich sogar im Dunkeln nicht vor ihm verstecken. Willst du wissen, was passiert ist, als er mich eingeholt hatte?«
»Willst du zusehen, wie ich mich vollkotze?«
»Warum schreibst du deine Träume überhaupt auf?«
»Träume spiegeln die innere Landkarte wider.«
»Hast du das aus einem Glückskeks?«
Fancy fand das nicht lustig. »Es ist wichtig zu wissen, wie man innen drin aussieht.«
»Und, wie bist du?«
»Seltsam.«
Kit lachte. »Das hätte ich dir auch sagen können.«
»Vielleicht bleib ich nicht seltsam.«
»Hoffst du das? Dass du eines Tages vom Abschlussball träumst, oder davon zu heiraten, oder …« Eine zusammengefaltete Seite fiel aus dem Skizzenbuch. Kit faltete sie auf und schnappte nach Luft. »Was ist das? Bist du das mit Ilan? Beim Küssen?«
Fancy hätte sich am liebsten unter der Bettdecke verkrochen, aber es war zu heiß, und sie hatte schon vor einer Weile die Decke aus dem Bett gekickt. Deshalb musste sie sich mit dem Plattenspieler beschäftigen. Sie schnappte sich die nächstbeste Platte: »Hello Stranger«.
»Ilan hatte das als Aufgabe bekommen.«
»Und du musstest es aufheben? Hat er das aus dem Gedächtnis gezeichnet?«
»Nein!«
»Immer noch ungeküsst.«
»Ja«, presste sie hervor, von Kits herablassendem Tonfall genervt.
»Du solltest Ilan für einen Testlauf nehmen. Sieht aus, als könnte er es gut.«
Fancy riss Kit die Zeichnung aus der Hand, faltete sie ordentlich zusammen und schob sie zurück in ihr Skizzenbuch.
»Es wundert mich nicht, dass du dir einen Jungen wie Ilan ausgesucht hast. Ihr habt eine Menge gemeinsam. Ilan hat Gabe einmal die Treppe runtergestoßen, wusstest du das? Seinen eigenen Bruder. Er hat sich beide Beine gebrochen und musste fast drei Monate im Streckverband liegen.«
»Warum ist er deshalb wie ich?«
Fancy fiel ein, wie gruselig sich Gabriel mit dem abgetrennten Kopf aufgeführt hatte und mit dem Mädchen, das er wiederbelebt hatte, und sie musste feststellen, dass sie sich gar nicht darüber wunderte, dass Ilan Gabriel die Beine brechen wollte. Sie wollte ihm auch am liebsten die Beine brechen. Kit war die Einzige, die noch nicht den echten Gabriel gesehen zu haben schien. »Warum ist er deshalb wie ich?«
»Scheint nur was zu sein, das du auch machen würdest. Mit mir. Du willst immer denen wehtun, die du liebst. Wer liebt mich mehr als du?«
»Woher weißt du das von Gabriel?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass wir zusammen in dem Kurs sind. Manchmal unterhalten wir uns.«
Kit ließ die Heuchelei sein und fummelte mit dem Teegeschirr herum.
Fancy musste einsehen, dass ihre Schwester, die ihr sonst immer in die Augen hatte sehen können, nun offensichtlich nicht mehr dazu in der Lage war. »Du würdest es mir sagen, oder?« Die Worte waren so leise, dass Fancy sie sich selbst kaum sagen hörte. »Wenn du dich mit ihm treffen würdest?«
»Damit du mich auch in einen Streckverband stecken könntest? Ich denke nein.«
»So würde ich dir nicht wehtun«, sagte Fancy in das leere Zischen des Plattenspielers, in den Sound des Endes. Fancy war sich sicher, dass jeder am Ende der Welt dieses Zischen hören würde. »Du bist diejenige, die mir wehtut, du lässt mich dauernd wegen anderer Leute sitzen. Du bist die…«
Kit küsste Fancy auf den Mund und warf dabei die Teetasse um. Sie küsste ihre Wange und dann das Ohr. »Ich liebe dich. Weißt du das?«
»Ich weiß«, sagte Fancy und drückte Kit fest an sich.
»Das ist alles, was zählt«, flüsterte Kit. »Denk immer daran.« Kit flüsterte sehr lange in Fancys Ohr.
Alles, um
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