Blutskinder
Bauch weg ist, und kann es kaum glauben, dass ich endlich in Sicherheit bin.
Wenn Ruby und ich in einem Ladeneingang hätten schlafen müssen, wären wir bestimmt beide umgekommen. Bei meiner Unerfahrenheit hätte ich gar nicht gemerkt, dass Ruby krank war und ins Krankenhaus musste. Mich schaudert bei dem Gedanken, was alles hätte passieren können. Freda hat sich um uns gekümmert und mir umsonst Essen und eine Unterkunft gegeben. Und jetzt hat sie mir auch noch eine komplette neue Garderobe gekauft. Für mich ist sie die Mutter, die ich mir immer gewünscht habe.
»Also, was muss ich tun?«, frage ich sie.
Fredas Gesichtszüge werden weich wie frischer Biskuitkuchen. Lächelnd greift sie über den Tisch nach meiner Hand. »Es ist eine wichtige Arbeit. Du leistest Männern gute Dienste, und wenn du richtig scharf bist, geben sie dir ein dickes Trinkgeld und kommen wieder. Die meisten sind Stammkunden. Ärzte und Rechtsanwälte, Lehrer, Banker. Maggie hat sogar einen Politiker.«
Wieder formt sich das Puzzlebild in meinem Kopf, und wieder reiße ich es auseinander. Denn wenn das letzte Teilchen an seinem Platz liegt, dann liegt auch mein neues Leben deutlich vor mir. Ich habe Angst, dass Onkel Gustaw auch eine Rolle darin spielt.
»Aber was ist mit Ruby?«, frage ich mit bebender Stimme. Eine Träne quillt aus meinem Auge und bleibt an den Wimpern hängen.
Erneut nimmt Freda meine Hand. »Ich wollte es dir eigentlich nicht erzählen, aber dein Baby ist sehr krank, mein Schatz. Es liegt auf der Intensivstation und bekommt die beste Behandlung, aber …« Sie senkt die Augen, zündet sich eine Zigarette an und bläst den Rauch in meine Richtung. »Aber die Betreuung eines so kleinen Babys kostet eine Stange Geld, und deshalb biete ich dir diesen Job an. Ich könnte jede Menge anderer Mädchen bekommen, aber ich weiß ja, dass du das Geld für dein Kind brauchst. Damit du es bald wiederhast.« Sie schiebt mir die Zigarettenschachtel zu. »Und außerdem mag ich dich, und ich bin sicher, deine Kunden werden dich auch mögen.« Als Freda mir mit dem linken Auge langsam zuzwinkert, muss ich lächeln und schlucke die Tränen hinunter.
»Aber sie wird doch wieder gesund, nicht?« Ich vertraue Freda mehr als meiner eigenen Mutter.
»Wenn du hart arbeitest und immer tust, was ich dir sage, dann wird sie wieder gesund.« Fredas Stimme hat auf einmal einen ganz anderen Klang. Sie nimmt einen letzten Schluck Kaffee und steht auf, obwohl ich noch nicht ausgetrunken habe. Dabei wollte ich doch gerade eine Zigarette probieren.
»Ich werde hart arbeiten, Sie werden schon sehen. Mehr als alles andere auf der Welt wünsche ich mir, dass es meinem Baby besser geht. Ich will Ruby zurückhaben und ihr einen Kinderwagen kaufen.« So plappere ich vor mich hin, während ich in Fredas Schlepptau durch die Menschenmenge haste.
Am nächsten Abend verkündet Freda, dass ich jetzt mit Maggie zur Arbeit gehen soll. Maggie ist anders als die übrigen Mädchen, weil sie das Haus verlassen darf. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich auch Engländerin bin, aber auf jeden Fall ist es eine Art Vorrecht, draußen zu arbeiten. Die anderen Mädchen sind ganz aufgeregt und eine von ihnen fährt mir mit dem Finger die Wirbelsäule hinab und flüstert mir in ihrer Sprache etwas ins Ohr. Es hört sich an wie das, was Onkel Gustaw immer zu mir gesagt hat.
Als ich mich bei Freda erkundige, sagt sie, dass es sicherer ist, wenn man zu zweit arbeitet. Außerdem spricht sie wieder davon, dass Ruby im Krankenhaus liegt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich dieses winzig kleine Baby, wie es in seinem Bettchen an den ganzen Schläuchen hängt und mich ansieht. Ich muss unbedingt Geld verdienen, damit es wieder gesund wird.
»Warum dürfen sie denn nie nach draußen?«, frage ich und meine damit die ausländischen Mädchen. Freda antwortet nicht, und als ich zu Becco hinüberblicke, schüttelt er den Kopf und fährt sich mit dem Finger quer über die Kehle. Dann spitzt er die Lippen und wirft mir einen Kuss zu.
Maggie sagt, wir hätten heute Nacht nur vier Termine. Doch darüber, was ich zu tun habe, schweigt sie sich aus. Wir machen uns zusammen fertig. Maggie leiht mir ihr Make-up und zeigt mir, wie man es in dicken Schichten aufträgt. Dann hilft sie mir in mein kompliziertes Unterhöschen und die Strapse. Als ich mir den BH anziehe, müssen wir beide lachen, weil meine eine Brust das Körbchen gar nicht ausfüllt, die andere dagegen überquillt wie ein
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