Blutskinder
dazu einen karierten Wollrock mit einer passenden weißen Bluse. Kordhosen durfte ich auch tragen und kratzige Pullover und Unterwäsche, die schon nach der ersten Wäsche grau und ausgeleiert war.
Und dann natürlich die Schuluniform. Die anderen Mädchen in meiner Klasse wandelten sie nach ihrem Geschmack ab, indem sie den Kragen hochstellten oder den Rockbund umkrempelten, damit der Rock kürzer wurde. Außerdem trugen sie Make-up und bemalten sich die Augen mit Kajal. Als ich mal den obersten Knopf meiner Bluse offen ließ, bekam Mutter fast einen Anfall.
Freda packt mich bei der Hand und zieht mich in den Bus. »Wir fahren zur Oxford Street, da gibt es Sonderangebote!«, ruft sie mir über das Dröhnen des Motors hinweg zu. Als wir aussteigen, kann ich vor lauter Menschen kaum die Geschäfte sehen, doch Freda weiß offenbar genau, wo sie hin will, und ich halte mich dicht hinter ihr. Wir betreten ein Geschäft, wo laute Musik wummert und die Schaufensterpuppen rosa Haare haben. Für die Sachen, die sie tragen, hätte meine Mutter nur einen abfälligen Blick übrig gehabt.
»Sag mir, wenn dir was gefällt, Schätzchen. Wie wär’s damit?« Freda zwängt sich durch eine Gruppe Teenager und zeigt auf eine Puppe mit einem superkurzen Jeansrock und dazu einem lose hängenden Ledergürtel und kniehohen Stiefeln. Ihr knallig pinkfarbenes Top ist bauchfrei und hat zerfetzte Ärmel. Ich finde es einfach toll.
»Wie soll ich denn in so was arbeiten?«, frage ich aufgeregt und überlege, ob mir überhaupt etwas steht, weil ich doch um die Taille noch immer so dick bin.
»Das ist sogar ideal dafür, Schätzchen. Was hast du denn für eine Größe, sechsunddreißig oder achtunddreißig?« Freda holt die Sachen in verschiedenen Größen und dazu noch ein paar andere, ebenso ausgefallene. Aber nach dem, was ich alles erlebt habe, kann ich auch verrückte Klamotten tragen. Wenn schon nichts mehr normal ist, warum soll ich mich dann normal kleiden?
Wir verlassen den Laden mit drei vollgestopften Tragetaschen, aber das war noch nicht alles. Denn danach geht Freda mit mir in einen Schuhladen und kauft mir Stilettos und Stiefel und schließlich noch in ein Wäschegeschäft, wo ich Unterhosen bekomme, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Sieben solche String-Dinger in Schwarz und Rot und Lila und zwei BHs, in die meine schweren Brüste kaum hineinpassen. Ich verrate der Verkäuferin nicht, dass mir beim Anprobieren ein bisschen Milch auf einen BH getropft ist.
Auf dem Rückweg kommen wir an einem Geschäft für Babyausstattung vorbei. Ich bleibe stehen und schaue mir den burgunderroten Kinderwagen im Schaufenster an. Er kostet 299 Pfund. Ich werfe Freda einen schüchternen Blick zu, und sie lächelt verständnisvoll.
»Warte damit, bis es deinem Baby besser geht und du dein erstes Geld verdient hast. Wenn du deine Arbeit gut machst, zahlt Becco dich jede Woche aus.«
Als ich Maggie fragte, was das für eine Arbeit ist, zeigte sie nur auf ihr ordinäres T-Shirt. Da versuchte ich es bei den anderen Mädchen. Ich sprach ganz langsam und machte die entsprechenden Gesten mit den Händen, doch sie starrten mich bloß ausdruckslos an.
»Rina gut blasen«, sagte auf einmal eine und erntete damit bei den anderen ein freudloses Kichern.
»Was du wollen, Mister?«, sagte eine andere.
»Lili dich streicheln.«
»Oh, fick mich, Mister.«
Eine nach der anderen spulten die Mädchen ihre auswendig gelernten Phrasen ab. Ihr leises, bitteres Lachen klang, als würde es in einem großen Kessel brodeln. Meine Kehle war so ausgetrocknet, dass ich mein Essen kaum hinunterbekam. Das Puzzle, das in meinem Kopf entstand, zerschlug ich rasch wieder in tausend Teile.
»Was muss ich für das Geld tun?«, frage ich Freda, während wir uns durch das Gewühl drängen. Es kommt mir so vor, als wären wir die Einzigen, die in diese Richtung gehen. »Was wird mit Ruby, wenn sie aus dem Krankenhaus kommt und ich bei der Arbeit bin?«
»Fragen über Fragen.« Freda grinst. »Gehen wir einen Kaffee trinken, dann können wir über alles reden.«
In einem Café in einer Seitenstraße holen wir uns was zu trinken und setzen uns dann nach draußen, weil drinnen kein Platz mehr ist. Irgendwie ist es aufregend, in der Kälte zu sitzen, bei der man die Atemwolken sieht, und die eisigen Finger am heißen Becher zu wärmen. Freda hat uns Biscotti gekauft und ich rühre mit meinem den Milchschaum auf dem Kaffee um. Ich bin so froh, dass der Spieß in meinem
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