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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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frage mich, wo Maggie ist. Er packt mich beim Rock, zerreißt mir die neuen Strümpfe und das Höschen und drückt mich bäuchlings über das Waschbecken. Ich weiß, dass er jetzt seinen roten Rock bis über die Taille hochgezogen hat und ihm die Unterhosen um die Knie baumeln, denn ich rieche warmes Hühnchen und Salz. Ich habe das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, ich höre den Mann mit seiner fremden Stimme grunzen, und ich weiß, dass mir eigentlich der Kopf wehtun müsste, weil er wieder und wieder gegen die Wand knallt, aber ich habe mich automatisch an den sichersten Ort zurückgezogen, den ich kenne und wo mich nichts und niemand jemals erreichen kann.
    Als er weg ist, hebe ich mein zerrissenes Höschen auf und gehe zu Maggie zurück, die noch immer an ihrem blauen Cocktail nippt. Der Ausländer ist fort, und sie zählt verstohlen ein paar Scheine. Ich stehe vor ihr, tropfend und zerzaust, und als sie mich bemerkt, öffnet sie die Arme. Ich setze mich neben sie, lege den Kopf an ihre Schulter und denke an Ruby. Ganz langsam wage ich mich aus meinem geheimen Versteck hervor.
    »Wenigstens hat er bezahlt«, sagt sie schließlich.

    In den nächsten Tagen mache ich mit meiner Folgsamkeit und meinem Pflichteifer großen Eindruck auf Freda. Wenn sie wüsste, wie leicht mir das fällt, weil ich ja schon mein ganzes Leben lang gewohnt bin zu gehorchen …
    Am Ende meiner ersten Arbeitswoche gibt Becco mir einen Briefumschlag. Er fixiert mich eine Idee zu lange, bis ich schlucken muss. Dann renne ich hinauf in den Schlafraum und reiße den dicken Umschlag auf. Ich habe fünfzig Pfund verdient. So viel Geld habe ich noch nie zuvor gesehen. Meine Eltern besaßen nie viel – Vater verdiente als Büroangestellter wenig, und Mutter sagte immer, ihr Beruf wäre der Haushalt, auch wenn Vater abends oft noch lange über den unbezahlten Rechnungen brütete.
    Ich überrede Maggie, mit mir zu Woolworth zu gehen und eine Geldkassette mit einem Schloss zu kaufen. In dieses glänzend schwarze Kästchen lege ich das Geld, das ich für Rubys Behandlung spare. Maggie sagt, sie hätte ein Bankkonto, aber ich erzähle ihr nicht, dass ich mir keins einrichten kann, weil mir dann die Polizei sofort auf die Spur käme.
    Nach der zweiten Woche gibt Becco mir wieder einen Umschlag. »Na, schon eingearbeitet?«, fragt er. Die Asche an seiner Zigarette ist ganz lang. Ich nicke, noch immer dankbar dafür, dass er mich von der Straße aufgelesen hat. Aber ich habe viel zu viel Angst, ihm das zu sagen.
    Oben in meinem Zimmer zähle ich das Geld. Wieder fünfzig Pfund. Ich überschlage im Kopf, was Maggie und ich in der vergangenen Woche nach Hause gebracht haben. Achthundert, vielleicht sogar tausend Pfund jede Nacht. Da nehme ich mir vor, vom Geld meiner Kunden etwas abzuzweigen. Für Ruby.
    Wenn ich nicht gerade an Ruby denke – Freda sagt, sie ist immer noch schrecklich krank und darf nicht besucht werden –, stelle ich mir vor, wie meine Eltern und Tante Anna und Onkel Gustaw panisch nach mir suchen. Jetzt ist es schon sechs Wochen her, dass ich weggelaufen bin, und sie haben noch nicht die kleinste Spur von mir gefunden.
    Ich denke an unser Haus und an mein Zimmer und daran, wie sie mich während meiner ganzen Schwangerschaft gefangen gehalten haben. Ich weiß noch, wie sicher und geborgen Ruby an meinen Bauch gekuschelt lag. Seit ihrer Geburt haben alle versucht, sie mir wegzunehmen. Ich denke an meine Schulfreunde. Bestimmt wird auf dem Schulhof über mich getratscht und die Geschichten werden mit der Zeit immer schauerlicher werden, so als hätte ich eine abstoßende Krankheit. Ich denke an Gustaw und seinen haarigen Körper und wie ich jedes Mal den Brechreiz unterdrücken musste, wenn er mir zu nahe kam. Und daran, wie ich aus dem Fenster gesprungen bin, weil sie das Baby adoptieren lassen wollten. Ich denke daran, wie allein ich bei Rubys Geburt war. Ich denke daran, ob ich zurückgehen soll. Ich denke, ich werde es nicht tun.

21
    F
    risch wie ein Frühlingsstrauß stand Louisa vor der Tür. Als Robert sie hereinbat, rümpfte sie die Nase und runzelte leicht die Stirn.
    »Mach mal das Fenster auf, Robert. Hier stinkt’s.« Ein Hauch von Parfum wehte hinter ihr her, als sie an ihm vorüberging. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie die zerknüllten Decken auf dem Sofa und die schmutzigen Teller auf dem Fußboden. »Keine Bange, du warst schon mal schlimmer dran«, sagte sie, zog ihren flachen Laptop aus der Tasche und

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