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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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nichts mit dem Foto seiner Mutter zu tun.« Achselzuckend nahm Mrs Wystrach den Teekessel zur Hand, ließ ihn voll Wasser laufen und schaltete die Herdplatte ein. Sie wirkte resigniert, als sei gerade etwas Unangenehmes geschehen, womit sie ihr Leben lang gerechnet hatte. »Meinen Mann interessiert das Medaillon.«
    »Bitte, schauen Sie es sich ruhig näher an.« Robert hielt dem noch immer reglos dastehenden Mann das Schmuckstück hin.
    »Ich sollte wohl eher sagen, ihn interessiert, woher und vor allem von wem es kommt.« Mrs Wystrach wischte sich die Hände an der Schürze ab.
    »Es gehörte Ruth, müssen Sie wissen.«

22
    A
    ls Andy mich verließ, wusste ich, dass mir recht geschah. Jetzt blieben mir nur noch Einsamkeit und Verzweiflung und eine ganze Jauchegrube voller Schuld, in der ich mich suhlen konnte. Aber meistens war mir ohnehin alles egal. Die Sonne schien für mich nicht mehr, und es gab Tage, an denen ich mit keiner Menschenseele redete. Ausgenommen Natashas Seele natürlich. »Es tut mir so leid«, sagte ich dann zu ihr, oder »ich liebe dich«, aber sie gab mir nie eine Antwort. Ich spürte nur ein leichtes Kribbeln im Rückgrat und einen kalten Hauch im Nacken. Eine Zeit lang genügte mir das.
    Dann, nach einer Weile, fing ich an, ihr Briefe zu schreiben. Sie liegen noch alle in der Natasha-Schachtel oben auf dem Dachboden. Doch nach wie vor konnte ich keine Verbindung zu meinem Baby herstellen, also ging ich zu einer Frau mit übersinnlichen Kräften, deren Werbezettel seit einiger Zeit in unserem Viertel hingen. »Nehmen Sie Kontakt mit ihren lieben Verstorbenen auf« – das klang vielversprechend.
    Ich rief Madame Luna an und machte mit ihr einen Termin aus. Als es so weit war, steckte ich fünfundzwanzig Pfund und einen Notizblock mit Bleistift ein und fuhr mit dem Bus zu ihrer kleinen Doppelhaushälfte am anderen Ende der Stadt. Sie führte mich die Treppe hinauf in ein Zimmer, das wie das Zelt einer Kirmeswahrsagerin ausstaffiert war. Ganz in roter und lila und goldener Seide und mit brennenden Kerzen überall. Auf einem Tischchen stand eine Kristallkugel. Die Frau bat mich, auf einem der beiden Stühle Platz zu nehmen. Madame Luna war dick und sah aus wie ein Mann, aber sie veränderte mein Leben.
    »Jemand, der Ihnen sehr teuer ist, versucht, mit Ihnen in Verbindung zu treten«, sagte sie mit ihrer rauen Stimme und ich tauchte ein in ihre schwarzen Augen, ganz begierig darauf, Natasha wiederzusehen. Als ihre Hände um die Glaskugel glitten, hätte ich schwören können, dass von ihren Handflächen Lichtstrahlen ausgingen, die geradewegs bis in die Welt der Toten reichten. Ich fing an zu weinen. »Sie sagt, Sie sollen nicht traurig sein, weil sie sonst auch weinen muss.«
    »Sie?«, fragte ich.
    »Ein kleines Mädchen will den Kontakt herstellen. Ein kleines Mädchen, das Sie sehr liebhat.«
    Mein ganzer Körper wurde steif und mir trat der Schweiß auf die Oberlippe. Das war der Augenblick, in dem Madame Lunas Worte ihre verderblichen Wurzeln tief in meinen geschwächten Körper senkten. Später wurde mir klar, dass das alles zu ihrem Job gehörte.
    »Wie alt ist sie?«, fragte ich.
    »Drei, vielleicht vier.«
    Ich sackte vor Enttäuschung förmlich in mich zusammen.
    »Obwohl … Warten Sie mal …« Wie gebannt starrte Madame Luna mich über ihre Kristallkugel hinweg an. Ihr geübter Blick registrierte jeden zuckenden Muskel, jeden gespannten Atemzug. »Vielleicht ist sie auch jünger … oder älter …« Ich muss ihr unbewusst ein Zeichen gegeben haben, denn auf einmal rief sie: »Das Kind ist noch sehr klein! Ein Baby, glaube ich.«
    Mir war es egal, dass im Grunde ich selbst es war, die ihr die Antworten verriet. Ich nickte eifrig, worauf Madame Luna eine Fülle von Informationen hervorsprudelte. Einige kamen der Wahrheit sehr nahe, andere waren so weit hergeholt, dass ich sie einfach ignorierte. Ich erfuhr, dass Natasha im Himmel war und dass sie mich liebte und mir verziehen hatte und zu mir sprechen würde, wann immer ich als zahlende Kundin zu Madame Luna käme.
    Bevor ich ging, die Augen ganz verquollen vom Weinen, machte Madame Luna einen Fehler: Sie sagte, dass ich ein überaus einfühlsamer Mensch wäre und möglicherweise selbst übersinnliche Kräfte hätte. Wahrscheinlich wollte sie mir nur schmeicheln, damit ich wiederkam, doch stattdessen brachte sie mich zur Hellseherei.
    Bald darauf hängte ich selbst Anzeigen ins Schaufenster des Lebensmittelladens und innerhalb

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