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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Ärger beeinflussen zu lassen, kann aber nicht dafür garantieren, dass ich nicht doch dem einen oder anderen eine kleine Tragödie oder Enttäuschung prophezeien werde. Mit einem Ruck ziehe ich die Gardinen zu, obwohl es fast bis zehn Uhr hell bleibt und ich es ansonsten ganz gern habe, wenn Passanten einen Blick auf mein einsames Dasein werfen. Ich will einfach nicht, dass Sarah durchs Fenster schauen kann, falls sie später noch vorbeikommt. Sie soll den Babytragekorb nicht sehen, den ich für sie gekauft habe. Ich habe lauter Schleifen darumgebunden und noch ein paar winzige flauschige Schlafanzüge als Überraschung hineingelegt. Außerdem käme ich mir dumm vor, wenn sie herausfinden würde, dass ich das Hinterzimmer, Natashas ehemaliges Kinderzimmer, renoviert habe. Die Wände sind jetzt ganz in modernen Pastelltönen gehalten und ich habe eine Lampe mit Häschen darauf besorgt und die Kiste mit Spielzeug vom Dachboden geholt, die Sheila so hastig verschwinden ließ, als ich mein Baby verlor. Bevor ich aus dem Haus gehe, falle ich auf die Knie und drücke die neuen Babysachen an mein Gesicht und weine und lache zugleich.
    Im »Hirschkopf« ist es schon voll. Der ganze Raum dröhnt vom lauten Stimmengewirr und vereinzelten Lachsalven und es riecht nach Rauch und Bier und hoffnungsvoller Erwartung. Über die Köpfe der Gäste hinweg winke ich dem Wirt einen Gruß zu. Er führt mich eilig in das Hinterzimmer, wo schon drei andere Hellseher bei der Arbeit sind. Anscheinend kann er die Massen bald nicht mehr bändigen, so versessen sind sie darauf, einen Blick ins Jenseits zu tun.
    Ich habe das ungute Gefühl, dass etwas auf mich zukommt. Etwas, das nichts mit lange verstorbenen Tanten und der trostlosen Zukunft irgendwelcher Leute zu tun hat. Sarah und ihr Baby schießen mir durch den Kopf. Ich schaue auf die Uhr, und als ich wieder hochblicke, nimmt gerade die erste Kundin an meinem Tisch Platz. Meine unterschwellige Angst lähmt mich so sehr, dass ich gar nicht weiß, was ich ihr erzählen soll.
    »Hi«, sagt sie, aber ich gebe keine Antwort, sondern starre nur auf meine Hände, die mit den Handflächen nach oben auf dem lilafarbenen Tischtuch liegen. Meine Haut ist so blass, dass sich die Handlinien rötlich abheben. Eine Landkarte aus Lügen und Wahrheit. Mir fällt wieder ein, wie Sarah einmal so getan hat, als lese sie mir aus der Hand. Lachend hat sie mir damals vorhergesagt, dass ich ein Baby bekommen würde. Genau in diesem Augenblick schaue ich hoch, geradewegs in die Augen eines Fremden, der an der Theke sein Bier trinkt und mich anstarrt.

23
    R
    obert und Louisa sahen zu, wie die alte Frau sich umständlich daranmachte, Tee zu kochen. In der Küche roch es nach Desinfektionsmittel und auch ein bisschen nach Gas. Als der Tee fertig war und Mrs Wystrach alle Utensilien fein säuberlich auf einem Tablett angeordnet hatte, ging sie den Besuchern voraus ins Wohnzimmer, während ihr Mann mit dem Teetablett folgte. Robert und Louisa hockten sich nebeneinander auf die Kante eines geblümten Sofas und nahmen ihre Tassen mit dem bitteren Gebräu in Empfang.
    »Wohnen Sie schon lange hier?«, fragte Robert aus reiner Höflichkeit. Das Einzige, was ihn wirklich interessierte, war das Bild in dem Medaillon und seine mögliche Verbindung zu Erin. Darüber wollte er etwas erfahren und dann nichts wie raus aus diesem bedrückenden Haus. Das alte Paar schwieg.
    »Woher haben Sie das?«, fragte der alte Mann nach einer Weile und richtete sich mühsam zu seiner vollen imposanten Größe auf. Dabei ließ er das Medaillon vor Roberts Gesicht hin- und herbaumeln, als wollte er den unerwünschten Besucher hypnotisieren.
    »Es gehört meiner Stieftochter.« Robert verlieh seiner Stimme jenen besonderen Ton von Aufrichtigkeit, der skeptischen Mandanten vorbehalten war. Mit einem beruhigenden Lächeln langte er nach dem Medaillon, doch der Alte zog es ruckartig weg. Es blitzte in der Sonne auf, die durch die schmuddeligen Gardinen fiel. Robert trank einen Schluck Tee und musste sich zwingen, nicht das Gesicht zu verziehen. Er bemerkte eine Träne in Mrs Wystrachs Augenwinkel. Draußen fuhr ein Wagen vorbei. »Wer ist Ruth?«, fragte er. »Sie sagten, der Schmuck hätte Ruth gehört.« Ein leichter Geruch nach Abgasen wehte durch das offene Fenster herein.
    Wieder keine Antwort. Mr Wystrach ließ sich an der Seite seiner Frau in einen Sessel nieder, der unter seinem Gewicht ächzte. Die beiden alten Leute neigten sich einander

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