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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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verändert hatte. Dennoch glaubte er nicht, dass sie eine der Kellnerinnen war. Er ging zur Theke und bestellte sich ein Bier.
    »Können Sie mir sagen, wo ich Cheryl Varney finde?«, fragte er und schob eine Zehnpfundnote über den Tresen. Die junge Kellnerin, die alle Hände voll zu tun hatte, deutete nach hinten in die Wirtsstube.
    »Sie ist dort drüben. Wollen Sie eine Karte? Aber die Warteschlange ist schon ganz schön lang. Sie können ja auch zu jemand anderem gehen.« Die Kellnerin wuselte zwischen der Zapfanlage und der Kasse hin und her, während Robert versuchte, aus ihren Worten schlau zu werden. In dem Moment sah er erst die Tafel über dem Tresen und was mit Kreide darauf geschrieben stand: Heute Abend des Übersinnlichen! Tarot, Runen, Wahrsagen …
    »Ich möchte eine Karte für sie. Auch wenn ich warten muss«, sagte Robert, als ihm aufging, dass Cheryl Varney eine Art Medium sein musste – auch wenn ihre übersinnlichen Kräfte offenbar nicht ausreichten, um ihr eigenes Kind aufzuspüren.
    Gerade als ihm die Kellnerin eine Karte mit der Nummer zweiunddreißig aushändigte, rief eine Stimme irgendwo hinten im Raum: »Nummer fünfundzwanzig bitte!« Eine junge Frau wedelte mit ihrer Karte, als hätte sie das große Los gezogen, und machte sich auf den Weg zu einem Hinterzimmer des Pubs.
    Robert drängte sich durch die vielen Gäste jedweden Alters und folgte ihr bis zu der Tür, hinter der die Wahrsager ihre Sitzungen abhielten. Er sah, wie die junge Frau an einem Tisch mit lilafarbener Decke Platz nahm. Mitten auf dem Tisch stand eine Kristallkugel und dahinter saß eine Frau, der das dunkle Haar in langen Strähnen um den alabasterweißen Hals hing. Es war unverkennbar Cheryl Varney.
    Gedankenverloren nahm Robert einen Schluck aus seinem Bierglas. Während er ein Päckchen Zigaretten aus der Hemdtasche zog und sich die letzte ansteckte, ließ er Cheryl nicht aus den Augen. Eigentlich bin ich ja Nichtraucher, dachte er. In diesem Augenblick stieß ihn jemand an, sodass ein wenig Bier auf sein Hemd schwappte. Der andere entschuldigte sich und gab Robert auf seine Bitte hin Feuer.
    Robert tat einen langen Zug, blies den Rauch aus und sah mit zusammengekniffenen Augen erneut zu Cheryl hinüber – zu der Frau, die vor dreizehn Jahren ihr Baby verloren hatte. Dieser Frau, die schon lange alle Hoffnung aufgegeben hatte, das Kind wiederzufinden. Dieser Frau, deren Kind er gefunden hatte und der er nun die geheime Nachricht bringen konnte, dass ihre Tochter heil und gesund und außerdem ein hübsches Mädchen war.
    Robert trank sein Bier, rauchte und wartete, dass er an die Reihe kam. Wenn es sein musste, würde er die ganze Nacht warten. Er fragte sich, ob Cheryl wirklich übersinnliche Fähigkeiten besaß. Er selbst glaubte nicht an so etwas, doch er konnte verstehen, dass sie es tat. Unverwandt beobachtete er sie.
    Seltsamerweise betrachtete sie ihre eigenen Hände, die mit nach oben gekehrten Handflächen auf dem Tisch lagen. Plötzlich, als spüre sie seinen Blick, hob sie die Augen und schaute ihn an. Für einen Augenblick schienen alle Geräusche um ihn herum zu verstummen. Als wären plötzlich keine anderen Gäste mehr im Pub und sie beide ganz allein. Er und Rubys Mutter.

24
    I
    ch brauchte drei Jahre, um elftausend Pfund zu sparen. Obwohl ich versuchte, so wenig wie möglich für Kleidung und Spielzeug für Ruby auszugeben, konnte ich es mir oft nicht verkneifen, ihr ein Geschenk zu kaufen, für den Fall, dass ich sie bald wiederbekäme.
    Nachdem ich sechs Monate lang in jenem Haus gearbeitet hatte, das – wie mir bald klar wurde – ein ganz gewöhnliches Bordell war, wies Freda mir und Maggie ein gemeinsames Zimmer an. Es war als Belohnung gedacht, weil wir ihre besten Mädchen waren. Wir staffierten es mit Gardinen und Kissen und Bildern vom Flohmarkt aus und kauften auch einen kleinen Teppich, auf dem Ruby herumkrabbeln konnte, wenn es ihr besser ging und sie zu mir zurückkam.
    Nun ist es nicht so, dass ich dumm gewesen wäre oder leichtgläubig, oder dass ich nicht gemerkt hätte, was sie mit mir machten. Ich wusste genau, dass ich meinen Körper verkaufte und den größten Teil meines Verdienstes an Becco ablieferte. Und mit der Zeit, als die Wochen zu Monaten wurden und die Monate schließlich zu Jahren, wurde mir auch klar, dass mit dem Geld keineswegs Rubys Arztrechnungen bezahlt wurden. Es gab nämlich gar keine Arztrechnungen, auch wenn ich das lange nicht wahrhaben wollte. Ich

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