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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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wo die fremden Mädchen untergebracht waren. Aber hatten sie überhaupt da gewohnt? Ich wusste es nicht, wusste gar nichts mehr. Nur das Eine: Wenn ich nicht wollte, dass die Polizei mich schnappte, sollte ich lieber meine Siebensachen packen und so schnell wie möglich verschwinden.
    Als ich sie schließlich in einem Wandschrank fand, lachte und weinte ich gleichzeitig und wusste mit meinen Gefühlen nicht wohin. Das kleine Ding lag zusammengekrümmt da, wie zuvor Maggie in der Speisekammer, doch im Gegensatz zu ihr war es quicklebendig, schluchzte jämmerlich und rief nach seiner Mami, nach mir.
    »Hier hat dich die böse Freda also die ganze Zeit versteckt«, sagte ich lächelnd zu der Kleinen, ging neben ihr in die Hocke und kitzelte sie am Knie. Sie hatte einen roten Rand um den Mund, wie von Himbeerlimonade, und in ihren Haaren klebten Essensreste. Sie trug ein Windelhöschen, obwohl sie eigentlich schon zu alt dafür war, und ihre nackten Oberschenkel waren mit Pusteln übersät. »Da hat die böse Freda behauptet, dass du krank wärst und ich dich noch nicht wiederhaben dürfte!«
    Ich hob das Mädchen hoch und setzte es mir auf die Hüfte. Die Kleine roch nach Pipi und saurer Milch. Vom ersten Augenblick an liebte ich sie, und sie liebte mich auch, obwohl sie kein Wort von dem verstand, was ich sagte.
    »Nënë, nënë, nënë«, jammerte sie unablässig. Später fand ich heraus, dass das Mama auf Albanisch hieß.
    Als ich mein Gespartes unter der Matratze hervorholen wollte, fand ich die Kassette aufgebrochen und leer. Die Polizei hatte das Geld mitgenommen, und ich bezweifelte sehr, dass sie es als Beweismittel aufbewahren würde. Ich stopfte das leere Kästchen in eine kleine Tasche. Dann zog ich meiner Tochter aufs Geratewohl ein paar Kleider über, die ich in dem Schrank fand, in dem sie sich versteckt hatte.
    Zum zweiten Mal in meinem Leben flüchtete ich durch einen Sprung aus dem Fenster. Im selben Augenblick, als die Polizei wieder zur Vordertür hereinkam, kletterte ich durch das Küchenfenster hinaus. In meiner Jeanstasche steckten achtundvierzig Pfund und der Pass, den ich in Beccos Büro gefunden hatte. Mit der kleinen Ruby auf dem Arm machte ich mich auf den Weg, wie schon einmal drei Jahre zuvor. Wir liefen zum Bahnhof, stiegen in den nächstbesten Zug und landeten in Brighton. Während der Fahrt schaute ich in dem Pass nach, wer ich eigentlich war. Da fuhr der Zug in einen Tunnel – und als wir wieder ans Tageslicht kamen, war ich Erin Lucas, geboren am 29. Juni 1972. Ich war mit einem Schlag vier Jahre älter.

    Anfangs ging alles glatt. Den Touristen saß das Geld locker, und auch unter den Einheimischen hatte ich viele Stammkunden. Regelmäßig kamen sie zu der Straßenecke vor dem Antiquitätengeschäft und kauften mir meine Blumen ab. Ich war nämlich am billigsten in der ganzen Stadt.
    Während des Sommers konnten wir hinter einer der Strandhütten schlafen oder uns für eine Nacht in die Jugendherberge schmuggeln. Niemals klaute ich zweimal am Tag im selben Blumenladen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die meisten Geschäftsinhaber es überhaupt nicht merkten, wenn sich ein Teil ihrer Straßenauslagen sozusagen in Luft auflöste. Die Tropfenspur, die die Blumen hinterließen, verdunstete rasch auf dem heißen Pflaster.
    Ich stellte sie zu prächtigen, duftenden Gestecken zusammen, die mir die Kunden förmlich aus der Hand rissen. Auf diese Weise verdiente ich bis zu zwanzig Pfund am Tag. Das war nicht schlecht, auch wenn es bei Weitem nicht an meinen Londoner Verdienst heranreichte. Trotzdem war ich froh, das alles hinter mir gelassen zu haben, und nach einer gewissen Zeit wirkte auch Ruby nicht mehr so verstört.
    Sie lernte Englisch und verzieh mir rasch, dass ich sie so lange im Krankenhaus gelassen hatte. Es tat ihr gut, viel Zeit mit ihrer Mami zu verbringen, und immer, wenn ich nicht gerade die Blumenläden heimsuchte, einen Raubzug durch einen der hochherrschaftlichen Gärten unternahm oder meine Waren auf der Straße verkaufte, gingen wir an den Strand. Wir sammelten runde, bunte Kieselsteine und Muschelschalen und glattgewaschene Glasscherben, die das Meer um die halbe Welt getragen hatte. Die Sonne schien, und wir waren glücklich.
    Doch gegen Ende September versiegte der Strom der Touristen und die Hotels bereiteten sich auf die Winterruhe vor. Der auffrischende Wind spülte Seetang an den Strand und wirbelte Unrat durch die engen Gässchen. Da streckte sich mir im

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