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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Wunde an ihrer Schläfe noch von ihrem rabiaten Freier stammte, weil ich einfach nicht fassen konnte, dass man sie zusammengeschlagen und in die kleine Kammer gestoßen hatte. Maggie reagierte nicht, als ich sie ansprach, und sie atmete auch nicht mehr. Vergeblich tastete ich nach dem leisen Pochen ihres Pulses.
    Folgendes war geschehen: Als Becco Maggie von mir weggerissen und aus dem Zimmer geschleppt hatte, ging ich schlafen, weil ich mich elend fühlte. Schließlich war ich ja krank. Und ich war sicher, dass sich Maggie bald wieder beruhigen würde. Doch um fünf, als das erste schwache Morgenlicht ins Fenster fiel, wachte ich auf und sah, dass Maggies Bett unberührt war. Weil ich Kopfschmerzen hatte, wollte ich mir aus der Küche eine Schmerztablette und ein Glas Wasser holen. Auf dem Weg dorthin entdeckte ich Maggie in der Speisekammer. Halb betäubt vor Entsetzen lief ich durch die Diele, um Freda zu Hilfe zu holen, gerade als die ersten Schläge gegen die Haustür donnerten. Dann setzte ein Radau und Tumult ein, als wäre die Hölle los.
    Ich bekam eine Heidenangst und raste hinunter in den Keller. Eine Sekunde später schlugen sie die Tür ein.
    Es war die Polizei. Eine Razzia. Lautstark trampelten sie durchs ganze Haus und rissen die Mädchen aus dem Schlaf, die vor Schreck laut loskreischten. Als die Polizisten endlich bis in den Keller vordrangen, war ich längst in der Versenkung verschwunden. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn auf das Versteck, eine wassergefüllte Grube im hintersten Winkel des unbeleuchteten Kellerraumes, war ich durch Zufall gestoßen – nämlich als ich hineinfiel. Als zwei Polizisten das höhlenartige Gewölbe mit ihren Taschenlampen absuchten, hielt ich die Luft an und kauerte mich unter Wasser auf den Boden der Grube.
    Dort hockte ich wie ein Frosch in einem Tümpel und beobachtete von unten, wie die Lichtkegel ihrer Taschenlampen im Zickzack über die Wasseroberfläche huschten. Dabei betete ich inständig, dass keine Luftbläschen aus meinem Mund nach oben stiegen. Jetzt kam mir die Selbstbeherrschung zugute, die ich mir in den vergangenen drei Jahren angeeignet hatte – wann immer ein Freier meine Haut Zentimeter für Zentimeter befingerte und dabei eingehend jede einzelne Körperöffnung untersuchte, unschlüssig, was er wo hineinstecken sollte. Ganz vorsichtig schob ich die Nase aus dem Wasser, um Luft zu holen, und bat in einem weiteren Stoßgebet darum, dass das Wasser nicht aus der Toilette stammte. Undeutlich hörte ich, wie sich die Polizisten bei ihrer Razzia mit knappen Worten verständigten.
    Viel später, als die Taschenlampen längst verschwunden waren und das alte Haus nur noch unter seinem eigenen Gewicht ächzte und knackte, stieg ich aus der Grube und schleppte mich, pitschnass, wie ich war, nach oben in die Diele. Das Merkwürdigste war die Stille überall. Keine Mädchen, die sich in ihrer unverständlichen Sprache zankten, kein Becco, der sie zur Arbeit antrieb, kein Laut aus den Zimmern im anderen Teil des Hauses, wo die Mädchen ihre Kunden bedienten und den Maggie und ich nie betreten durften. Außer während der Mahlzeiten hatten wir beide überhaupt keinen Kontakt zu den anderen. Ohne seine alltägliche Geräuschkulisse erschien mir das Haus fremd und unheimlich. Ich streckte mühsam meinen Rücken, der im kalten Wasser ganz steif geworden war, und schlich im Dunkeln in Beccos Büro. Im orangefarbenen Licht der Straßenlampen sah ich, dass es weitgehend leergeräumt war. Es kam mir vor, als seien alle ausgezogen und hätten mich vergessen. Die Papierstapel waren vom Schreibtisch verschwunden und der Teppich zeigte hellere rechteckige Flecken, wo die Pappkartons gestanden hatten. Ich ging um den Schreibtisch herum und setzte mich in den Sessel, von dem aus Becco mir immer meinen Lohn ausgezahlt hatte. Dann zog ich eine Schublade auf. die jedoch nichts enthielt außer einem Gummiband und der Kappe eines Kugelschreibers. Als ich die Beine ausstreckte, stieß ich unter dem Tisch gegen eine Tragetasche, die die Polizei offensichtlich übersehen hatte. Sie kippte um und ein kleines rotbraunes Büchlein fiel heraus. Ein Pass.
    Ich steckte ihn ein und ging wieder in die Diele. Die Tropfen von meinem durchnässten Morgenmantel hinterließen eine feuchte Spur auf dem Boden. Mir war eiskalt. Plötzlich hörte ich ein Schniefen und ein Wimmern, schwach und leise wie von einem Mäuschen. Ich ging dem Geräusch nach bis in eine Dachstube in jenem Teil des Hauses,

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