Blutskinder
einen Mutterschaftstest, und zwar von jetzt auf gleich.« Louisa kicherte erneut und fuhr mit dem Finger über die Lederverkleidung der Autotür. »Haha, sehr witzig. Nein, er ist nicht für mich, und ebenfalls nein, ich bin schon vergeben.
Sag mir einfach, wie lange es dauert, wenn ich dir die Proben noch heute Nachmittag schicke.« Und dann, nach einer Pause: »James, du bist einfach ein Schatz. Du hast was gut bei mir.« Im selben Augenblick, als Louisa das Handy zuschnappen ließ, brach auch ihr albernes Lachen ab. »Vierundzwanzig Stunden, wenn er die Proben heute noch bekommt.«
Robert, noch immer überrascht über Louisas Flirten, dachte kurz nach. Dann sagte er: »Und was ist, wenn der Test ergibt, dass Erin nicht Rubys Mutter ist? Sind wir dann vielleicht schlauer?« Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. In dem Moment setzte sich der Wagen vor ihnen wieder in Bewegung. »Na endlich.«
»Ich kann nur etwas zum wissenschaftlichen Vorgehen sagen und nicht zu den moralischen Konsequenzen.«
Robert schnallte seinen Sicherheitsgurt ab und kramte in der Tasche nach Zigaretten, bevor ihm einfiel, dass sie ihm ausgegangen waren. Einige hundert Meter weiter steuerte er eine Tankstelle an.
»Versprich mir, dass du das Rauchen wieder aufgibst, wenn alles vorbei ist.«
Robert saß auf einem niedrigen Mäuerchen am Parkplatz und rauchte schon die vierte Zigarette. Ihr Qualm vermischte sich in der drückenden Hitze mit den Abgaswolken der dahinschleichenden Autos.
Jenna hatte es auch nicht gemocht, wenn er rauchte. Vielleicht hatte er ja deswegen wieder damit angefangen – um sie zu ärgern. Damit er in Gedanken nicht länger von ihrer Stimme, ihrem Duft, ihrem Geist und der Erinnerung an sie heimgesucht wurde. Robert hoffte, der stinkende Tabaksqualm würde sie vertreiben und sein Gewissen betäuben, sodass er tun konnte, was er tun musste.
Er ignorierte Louisas Worte. »Und jetzt sag mir, wie wir eine DNS-Probe von zwei Leuten bekommen, die verschwunden sind.« In seinem Berufsleben waren bereits mehrere Fälle vorgekommen, in denen es um Vaterschaftstests ging, doch von der Methode selbst hatte er keine Ahnung. Ihn hatten – wie jetzt auch – immer nur die Ergebnisse interessiert.
»Du wirst dich wundern, was wir dafür alles bei euch zu Hause finden können. Vielleicht müssen wir ein bisschen suchen, aber uns würden schon, sagen wir mal, einige Haare aus einer Bürste genügen oder ein Briefumschlag, den Erin angeleckt hat.«
Ein Stück von Erin und ein Stück von Ruby, dachte Robert, und schon konnte seine zerbrochene Familie wieder zusammengefügt werden. Ein paar Haare und ein bisschen Spucke, mehr war nicht nötig.
»Und wenn Erin nicht Rubys Mutter ist, was mache ich dann? Soll ich dann zur Polizei gehen oder Cheryl sagen, dass ich ihre Tochter gefunden habe?« Robert fragte sich, ob Cheryl womöglich schon die Polizei von ihrer seltsamen Begegnung unterrichtet hatte. Aber da sie nichts außer seinem Namen wusste, würden sie ihn wohl kaum aufspüren können.
»Wenn du Erin bei der Polizei anzeigst, verlierst du nicht nur deine Frau, und das schon zum zweiten Mal, sondern du nimmst Ruby auch die einzige Mutter, die sie jemals gekannt hat.«
»Ich wollte Cheryl doch nur sagen, wie hübsch Ruby ist, aber ich bin nicht dazu gekommen. Ich wollte ihr erzählen, dass sie dreizehn ist und begabt und eine tolle Pianistin und dass sie gerade ihren ersten Freund hat und schon ihre Periode und …« Er verstummte, zündete sich noch eine Zigarette an und blinzelte zu Louisa hoch, die missbilligend auf ihn herabblickte. »Um ehrlich zu sein, ich wollte Cheryl klarmachen, dass sie ihre Tochter nicht zurückbekommen kann.« Robert musste wieder an Cheryls Gesichtsausdruck denken. Ihre Miene hatte bei seinen Worten zwischen Furcht und Erleichterung geschwankt. Dann war sie ganz blass geworden und hatte zu zittern begonnen. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Warum nur, überlegte Robert weiter, war sie nicht auf die Knie gesunken und hatte ihn umarmt und ihn bestürmt, sie auf der Stelle zu ihrem vermissten Kind zu bringen? Warum hatte sie ihn nicht mit Fragen überschüttet, nachdem der erste Schock überwunden war?
Stattdessen war Cheryl nach einigen Schrecksekunden einfach weggelaufen. So gut, wie es in ihrem langen Rock eben ging, war sie aus dem Raum gerannt und in der Menge untergetaucht. Robert war stehen geblieben und hatte vergeblich gehofft, dass sie zurückkommen würde.
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