Blutskinder
Schatz«, murmele ich und lege auf.
Der Zug fährt um kurz nach fünf Uhr nachmittags in Victoria Station ein. Da ich wusste, dass Ruby bei Robert in Sicherheit war, bin ich erst am Nachmittag aus Brighton abgefahren. Vorher habe ich mit Baxter noch einen Spaziergang am Strand unternommen. Ich fasste ihn um die dicke Taille, und er spielte mit meinem Haar.
Vom Bahnhof aus nehme ich ein Taxi nach Hause.
Das Haus riecht nach schmutziger Wäsche und verdorbenem Essen. Robert hat den Müll nicht rausgebracht. Als ich die zerknüllte Zigarettenschachtel auf dem Tresen sehe, frage ich mich, wer hier wohl geraucht hat. Wie ein Geist wandere ich durch das ganze leere Haus.
»Rob?« Vielleicht liegen er und Ruby ja irgendwo auf der Lauer und springen gleich mit Tröten und Luftballons und Knallbonbons aus ihrem Versteck.
» Willkommen, mein Schatz! Ich verzeihe dir. «
Das Dumme ist nur, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich überhaupt verbrochen habe.
Ich erstarre vor Schreck, als das Telefon klingelt. Wie eine Löwin auf der Jagd pirsche ich mich zurück in die Küche und bleibe in sicherem Abstand stehen, während der Anrufbeantworter eine Nachricht aufnimmt.
»Rob? Bist du da, Rob?« Eine Pause und dann: »Heb doch ab, wenn du zu Hause bist, oder ruf mich an, verdammt noch mal!«
Das Gerät piept und schaltet sich mit einem Klicken aus. Dens Stimme würde ich überall erkennen. Also ist Robert auch nicht im Büro. Ich beruhige mich mit der Vorstellung, dass er mit Ruby ins Kino gegangen ist und hinterher ein Eis essen. Als Belohnung fürs Nachhausekommen.
Auf meinem Küchentisch steht ein Laptop. Er gehört nicht Robert. Offenbar wurde er vor kurzem benutzt, denn er ist eingeschaltet, und der Bildschirmschoner, das sich drehende Bild eines Mannes, gleitet über den Monitor. Der Mann sieht nett aus. Wahrscheinlich der Ehemann von jemandem.
Ich streiche mit dem Finger über das Touchpad, worauf der Mann verschwindet und Outlook Express aufgeht. Von den Absendern der E-Mails kenne ich keinen, trotzdem schlägt mein Herz schneller, als ich die Reihe der ungeöffneten E-Mails überfliege. Vielleicht ist mein Unterbewusstsein schneller als ich.
Ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen, ziehe ich mir einen Stuhl heran und lasse mich darauf nieder. Ich habe keine Ahnung, wem der Laptop gehört und warum er hier in meiner Küche steht. Mit klopfendem Herzen lese ich meinen Namen in der Betreffzeile einer Nachricht. Der Absender ist ein gewisser James Hammond.
An: Louisa van Holten
Betreff: Ergebnis Mutterschaftstest Erin Knight
Mit einem Doppelklick öffne ich die Mail. Mein Mund ist wie ausgetrocknet.
Hallo, Lou,
mit dem Test hat alles geklappt. Das untersuchte genetische Material ergab eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 0,1%, dass Erin Knight die leibliche Mutter von Ruby Knight ist.
Das ist ziemlich eindeutig. Sie ist nicht die Mutter des Kindes. Ich hoffe, ich konnte Dir bei deinen Ermittlungen behilflich sein. Und denk dran, Du schuldest mir noch einen Drink.
Viele Grüße
James
Ich kann nicht länger still sitzen. Deshalb laufe ich zum Erkerf enster im Wohnzimmer und halte nach Robert und Ruby Ausschau. Vielleicht sind sie ja schon auf dem Heimweg vom Kino, den Bauch voller Eis und Limonade. Oder sie sind zum Bowling gegangen und haben einen Hamburger mit Pommes gegessen. Ich mustere jeden Wagen, der am Haus vorüberfährt, doch keiner hält an.
Ich hätte größte Lust, diesen Computer in Stücke zu schlagen oder abzufackeln, dass sein schwarzes Plastikgehäuse Blasen wirft und verschmort. Dann würde niemand etwas erfahren. Ich gehe zurück zum Küchentisch. Da kauert dieser Apparat, wie ein wildes Tier, das meine Vergangenheit in den Klauen hält. Und meine Zukunft dazu.
Hast du noch die Kraft für ein letztes Gefecht?, frage ich mich selbst.
»Damit ich dich recht verstehe«, rede ich den Computer an, »du willst mir also weismachen, dass ich nicht Rubys Mutter bin? Dass irgendjemand auf der Welt besser für diese Rolle geeignet ist? Dass meine Befähigung als Mutter nicht mehr als ein Zehntel Prozent beträgt?« Ich lasse mich auf den Stuhl sinken und breche in Tränen aus. »Wenn du nur wüsstest«, flüstere ich dem Gerät zu, »dann hättest du die Nachricht irgendwo im Cyberspace verloren.«
Ich halte mich nicht lange mit Weinen auf. Das ist nicht meine Art. Wenn dieser Computer Louisa gehört, geht es mir durch den Kopf, dann arbeitet sie für Robert. Er hat doch tatsächlich eine
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