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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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nichts zu befehlen.«
    »Wohin fahren wir, Rob?«, fragte Louisa, als sie bemerkte, dass sie nicht auf dem Weg zu Roberts Haus waren.
    »Ich bringe Ruby zu ihrer Mutter. Es wird Zeit, dass sich die beiden kennenlernen.« Robert umfasste das Lenkrad fester und starrte geradeaus. Ihm lag eine Bemerkung über den Bowman-Fall auf der Zunge und darüber, dass Kinder zu ihren richtigen Eltern gehörten, aber er besann sich eines Besseren. Außerdem war er Louisa keine Erklärungen schuldig, solange er sie für ihre Anwesenheit bezahlte.
    Nach kurzer Überlegung fuhr Robert auf die M1. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen war er auf dem Weg nach Northampton. Es kam ihm vor, als würde er Schicksal spielen. Die ganze Situation hatte etwas Unwirkliches.
    Aus dem Augenwinkel warf er einen verstohlenen Blick auf Louisa. Ruhig und gelassen saß sie da, sogar in Jeans und T-Shirt noch elegant. Sie trug Ledersandalen. Ihre Zehen waren lang und gerade, die Nägel burgunderrot lackiert. Wie sehr wünschte er, Erin säße dort neben ihm! Dann wäre das Leben wieder normal. Sie wären auf dem Heimweg von einem Wochenende in Somerset und er würde sich später an ihren schlanken Rücken kuscheln, wohl wissend, dass Ruby sicher und zufrieden im Nebenzimmer schlummerte.
    »Findest du nicht, wir sollten die Testergebnisse abwarten?« Louisa sprach mit gedämpfter Stimme, obwohl sich Ruby die Kopfhörer von Roberts MP3-Player in die Ohren gesteckt hatte. Ihr Kopf nickte im Takt der Musik. Robert umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Er war unsanft wieder in der Wirklichkeit angelangt.
    »Nein«, antwortete er. »Die Ergebnisse werden nur bestätigen, was ich ohnehin schon weiß. Außerdem kann ich nicht länger warten. Ich will wieder normal leben können. Außerdem wird die Polizei sowieso eigene DNS-Tests durchführen.«
    »Die Polizei?«, fragte Louisa, erhielt jedoch keine Antwort.
    Robert fuhr schweigend weiter – grübelnd und im Bemühen, Jennas Stimme in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen. Sie beschwor ihn, nicht noch einmal den gleichen Fehler zu machen. Er traf eine Abmachung mit ihr. Wenn sie aufhörte, in seinen Gedanken herumzuspuken, würde er das paranoide Verhalten aufgeben, mit dem er sie in den Tod getrieben hatte. Gerade als er die Abfahrt nach Northampton nahm, geschah es. Jennas Stimme sirrte und summte noch immer in seinem Schädel, doch auf einmal entdeckte Robert, dass er sie nach Belieben an- und abschalten konnte. Er drückte im Geist auf einen Knopf, und schon verstummte die Stimme.
    Ruby hatte bereits vor einiger Zeit den Kopfhörer abgenommen. Erschöpft von der vergangenen Nacht, hatte sie den größten Teil der Fahrt zusammengerollt auf der Rückbank verschlafen. »Wohin fahren wir, Dad?«, fragte sie nun und strich sich mit dem Handrücken über die Wangen. Sie war aufgewacht, weil der Wagen langsamer fuhr.
    »Wir fahren zu jemandem, der seit dreizehn Jahren darauf brennt, dich kennenzulernen.«
    Ruby fragte nicht weiter.
    Sie durchquerten die Stadt und bogen schon bald in die Straße mit den kleinen Reihenhäusern ein. Mit grellen Reflexen spiegelte sich das Licht der Abendsonne in den Windschutz­scheiben und Motorhauben der parkenden Autos. Robert klappte die Sonnenblende herunter und hielt nach einem Parkplatz Ausschau.
    Schließlich quetschte er sich in eine enge Lücke, stellte den Motor ab und stieg aus. Da Ruby liegen blieb, öffnete er die hintere Tür, beugte sich vor und streichelte ihr über den Kopf. Sie war verschwitzt, und das schwarze Haar klebte ihr an der Stirn – es war ebenso schwarz wie das ihrer Mutter Cheryl. Mit verschlafenen Augen blickte sie auf die Straße hinaus. Offensichtlich fragte sie sich, wo sie war.
    Zu Hause, dachte Robert. Ich habe dich nach Hause gebracht.
    Er sah schweigend zu, wie sich Ruby langsam aufrichtete. Sie darf niemals ohne Mutter sein, dachte er. Auf keinen Fall sollte sie sich ungeliebt oder wertlos fühlen, gleichgültig, bei welcher Frau sie fortan leben würde. Die Vorstellung, dass es eine aridere Frau als Erin sein könnte, peinigte ihn. Doch ebenso quälend war der Gedanke an das, was Cheryl durchgemacht hatte.
    In den vergangenen Tagen hatte er sich immer wieder Cheryls Gefühle während der letzten dreizehn Jahre ausgemalt. Ihre Schuldgefühle, den Verlust, den Selbsthass und Zorn. In Zukunft musste er darüber nachdenken, was seine Frau empfinden würde, wenn man sie verhaftete, vor Gericht stellte,

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