Blutskinder
nett und freundlich zu uns gewesen. Und vor allem stellte sie keine Fragen.
»Für wen war denn der erste Blumenstrauß?«, fragte ich Robert mit schief gelegtem Kopf und einem schelmischen Lächeln. Dabei stocherte ich in meinem Essen herum, weil ich gar keinen Hunger hatte.
»Für meine Sekretärin. Sie hatte Geburtstag.«
»Mir hat noch nie jemand Blumen geschenkt. Es kommt mir vor, als hätte ich auch Geburtstag.« Den Strauß, den mir Becco in Brighton geschickt hatte, zählte ich nicht mit. Erst später fiel mir ein, wie komisch sich das angehört haben musste. Jeder bekam doch irgendwann einmal Blumen.
Im Laufe des Gesprächs erwähnte er, dass er als Anwalt arbeite. Dann fügte er mit gesenktem Blick hinzu, dass er verheiratet gewesen, inzwischen aber Witwer sei. Ich fragte nicht weiter. Außerdem erzählte er mir, dass er Squash spiele, gern ins Kino gehe und ein Haus in Fulham besitze. Er benahm sich ganz normal. Er bezahlte das Essen und auf der Straße küsste er mich.
Auch wenn er sich bemüht, es nicht zu zeigen, kann man sehen, dass Baxter nur noch ein halber Mensch ist. Niemand wird jemals Patricks Stelle einnehmen.
Als wir mit unseren Taschen vor der Tür stehen, heißt er uns willkommen, so als hätte er schon vorher gewusst, dass wir zurückkommen würden. Dann macht er uns Pfannkuchen mit Sirup und drängt uns noch einen Nachschlag auf. Sein Hals ist voller Narben, aber wir reden nicht über den Brand. Darüber haben wir in unseren Briefen schon genug gesagt.
»Ich werde dich nie verstehen, Erin.« Er strubbelt mir das Haar, wie es mein Vater hätte tun sollen. »Und ich werde dich zurückschicken. Du darfst nicht schon wieder davonlaufen. Dein Mann ist doch in Ordnung.«
»Er hat dumme Sachen gesagt«, antworte ich wie ein schmollender Teenager. »Über Dinge, die er eigentlich gar nicht wissen dürfte. Er hat in meiner Vergangenheit herumgeschnüffelt.«
»Du bist schließlich mit ihm verheiratet, da schuldest du ihm Aufrichtigkeit.« Baxter träufelt noch ein wenig Sirup auf meine Pfannkuchen. »Und außerdem hat er nicht geschnüffelt. Es war meine Schuld. Wir haben über dich gesprochen, und weil ich dachte, er wüsste Bescheid, habe ich …«
»Er wird sich sowieso scheiden lassen, jetzt wo er weiß, was ich mal gewesen bin.« Im Laufe der Jahre habe ich Baxter alles über mich erzählt. Die ganze Geschichte.
Fast die ganze.
Ruby bearbeitet das Klavier. Sie spielt das Stück, das sie für Art komponiert hat, und singt dazu.
»Ich möchte, dass du Robert anrufst und ihm sagst, dass es dir gutgeht. Dann bleibst du ein paar Tage hier, bis du dich ein wenig beruhigt hast, und kehrst dann wieder in dein Leben zurück.« Baxter wirkt traurig. Wahrscheinlich fürchtet er, dass Robert oder ich in einem Feuer umkommen, und damit hat er nicht unrecht. Der Flächenbrand ist schon außer Kontrolle geraten.
Ich rufe Robert nicht an. Ruby und ich schlendern durch die Straßen von Brighton und hängen unseren Erinnerungen nach. Wir setzen uns an den Strand wie in jener Nacht, als das Feuer wütete. Baxters Wohnung ist renoviert, doch Patrick hat er für immer verloren. Ich zeige Ruby sein Grab und lege Blumen aus Baxters Laden darauf. Ich vermisse Robert. Ich vermisse mein Zuhause. Es ist der einzige Ort auf der Welt, an dem ich sein möchte. Doch wegen meiner Vergangenheit kann ich nie wieder dorthin zurück.
Baxter teilt mir mit, dass Ruby fort ist. Er konnte nicht schlafen – seit dem Brand hört er nachts immer splitterndes Glas und Schreie – und fand Rubys hastig hingekritzelte Nachricht auf der Küchentheke.
»Alle Ferien gehen eines Tages zu Ende. So ist das nun mal. Ich fahre nach Hause zu Dad. Einen dicken Kuss, Ruby.«
»Das war’s dann wohl«, sage ich. »Und ich habe noch nicht mal ein paar Ansichtskarten geschrieben.«
Baxter trommelt mit den Fingern auf meine Schultern, als wären es Klaviertasten, dann massiert er meine verspannten Muskeln. »Ich habe das Gefühl, als würde Robert verstehen, warum du so handeln musstest. Erzähl ihm alles. Sei schonungslos ehrlich.«
Ich brauche fast den ganzen Tag, um mir ein Herz zu fassen. Meine Entschlossenheit ist wie ein Blatt an einem Herbsttag – beim leisesten Windstoß stiebt sie davon.
Gegen Mittag bekomme ich eine SMS von Ruby. Sie ist gut zu Hause angekommen, und Robert war nicht sauer auf sie. Ich versuche, sie auf dem Handy anzurufen, erreiche aber immer nur die Mailbox.
»Ich komme auch nach Hause, mein
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