Blutskinder
nicht in die Finger bekommt. Ohne einen Blick auf den kleinen Körper zu werfen, presse ich es an mich, um es vor der Gestalt zu verbergen, die jetzt neben mir kniet. Er drückt mich auf die Decke, seine schmalen Lippen suchen meinen Mund, seine glatten, feuchten Hände fahren über meinen eingefallenen Bauch.
Als ich den Mund des Babys an meine Brustwarze drücke, strampelt es ungehalten mit den Beinen. Da sehe ich, dass ich ein kleines Mädchen habe, geboren am ersten Tag des neuen Jahres.
Auf einmal rutscht noch etwas Dickes, Warmes aus mir heraus, das nach roher Leber riecht. Ich lasse es zwischen meinen Beinen liegen. Die Gestalt legt einen Finger auf ihren Mund und gebietet mir damit, für alle Zeit zu schweigen. Dann löst sie sich in Luft auf. Zurück bleibt nur ein leichter Nikotingeschmack auf meinem Mund.
Ich rolle mich zusammen und presse mein Baby dicht an mich, um es warm zu halten. Ich zittere und bete, dass er nicht zurückkommt. Die Steppdecke ist triefend nass, trotzdem lege ich sie mir um die Schultern. Ich bin todmüde, und als ich schon fast eingeschlafen bin, fällt mir ein, dass wegen Onkel Gustaw meine Tochter zugleich auch meine Cousine ist.
10
J
ed Bowman war nicht begeistert, als Robert ihn bat, in einer halben Stunde wiederzukommen. Sein ohnehin schon gerötetes Gesicht wurde noch eine Spur dunkler, und seine kalten Augen musterten Robert von oben bis unten, als überlegte er, wohin er am besten schlagen sollte. Robert schloss die Eingangstür hinter Jed ab, damit er und Tanya ungestört waren. Den war den ganzen Morgen auf einer Sitzung, und Alison, seine Sekretärin, hatte sich krank gemeldet. Sie beide hatten also die Kanzlei für sich allein.
»Gut. Und jetzt gehen Sie ans Telefon.« Ein wenig schuldbewusst stellte Robert fest, dass er mit Tanya sprach wie ein Lehrer mit einem unfolgsamen Kind. Doch auch wenn sie Erins Laden am vergangenen Samstag noch so gut gehütet hatte, konnte sie hier ihre Sachen packen, wenn es ihr nicht gelang, Rubys Geburtsurkunde aufzutreiben.
»Stellen Sie auf ›Lautsprecher‹«, sagte er.
»Hier Standesamt Northampton, guten Morgen. Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Hallo«, sagte Tanya. »Ich rufe wegen der Kopie einer Geburtsurkunde an.«
»Bleiben Sie bitte dran, ich versuche, Sie durchzustellen.«
»Die sind ständig beschäftigt«, beklagte sich Tanya mit einer Hand auf dem Telefonhörer. Ihr Chef starrte missmutig auf sie herab. Als sie ihn so sah – mit steifem Rücken, die Arme über der breiten Brust verschränkt –, wusste Tanya, dass er sich nicht abwimmeln lassen würde. Dabei hatte sie ihn in all den Jahren als seine Assistentin immer für einen vernünftigen Mann gehalten …
Eine Bandansage teilte ihr mit, dass sie die Fünfte in der Warteschleife war. Während sie warteten, las Robert noch einmal das Schreiben vom Standesamt: »… leider nicht möglich, aufgrund Ihrer Angaben eine Kopie der betreffenden Geburtsurkunde auszustellen … fanden sich keine Unterlagen zu Ruby Alice Lucas, geboren 1.1.1992 …« Die Angaben stimmten. Vielleicht lautete Rubys zweiter Vorname ja anders oder Ruby war überhaupt nur ein Spitzname. Er würde Erin danach fragen. Er brauchte korrekte Angaben.
Während sie auf die Verbindung zu einem Sachbearbeiter warteten, zog Robert in Erwägung, dass Erin ihrer Tochter nach der Trennung von ihrem Mann möglicherweise ihren eigenen Mädchennamen gegeben hatte. Vielleicht war es eine Art Trotzreaktion gewesen, mit der sie sich endgültig von dem Mann lösen wollte, den sie nicht mehr liebte. Ein solches Verhalten war Erin durchaus zuzutrauen – stolz und auf ihre Unabhängigkeit bedacht, wie sie nun einmal war. Ruby war jedoch vermutlich unter dem Familiennamen ihres Vaters registriert worden. Das würde erklären, warum ihre Geburtsurkunde unter Ruby Lucas nicht aufzutreiben war.
Verständlicherweise hatte Erin nie von Rubys Vater gesprochen, und Robert war auch nicht sonderlich auf Einzelheiten erpicht gewesen. Er hatte allerdings angenommen, dass Lucas der Name ihres ersten Ehemannes gewesen war. Robert hatte sie nie danach gefragt, zum einen, weil es ihm nicht wichtig erschi en, und zum anderen, weil er aus bitterer Erfahrung wusste, wohin es führen konnte, wenn man zu tief im Privatleben eines a nderen Menschen herumwühlte. Um seine Beziehung zu Erin nicht zu strapazieren, hatte er sich daher mit ihren spärlichen, unverbindlichen Auskünften zufriedengegeben. Dass ihn diese Art von
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