Blutskinder
keuche vor Angst, weil der Traum so wirklich war, dass ich denke, er ist bei mir im Zimmer. Ich schaue mich um. Er ist nicht da.
Plötzlich spüre ich den Drang zu pressen. Mit angehaltenem Atem kauere ich mich wie ein Hund auf den Boden. Dann fange ich an zu schreien, weil es da unten wie Feuer brennt. Ich schreie und schreie, bis ich keine Luft mehr kriege. Warum kommt denn keiner und hilft mir? Ich bin ganz allein im Haus.
Erschöpft lasse ich die Stirn auf den Fußboden sinken und sehe wieder die Schachtel mit dem Spiel. Die Packung ist noch wie neu. Ich greife unter das Bett und ziehe die Schachtel durch den Staub zu mir her. Ein Spiel für zwei oder mehr Spieler. Ich öffne den Deckel und nehme das Spielbrett heraus. Mit gelben Leitern, grünen und roten Schlangen. Ein Plastiktütchen mit Spielsteinen und zwei Würfel. Ich reiße das Tütchen auf, würfle und schiebe einen der Spielsteine fünf Felder weiter.
Doch dann kommt der Schmerz wieder. Ich bäume mich auf und kralle meine Hände in den Metallrahmen des Bettes und heule wie ein Wolf und spanne alle Muskeln an und presse. Als es mir wie ein glühendes Eisen durch den Leib fährt, weiß ich, dass ich gleich sterben muss.
Ich bin auf einer Leiter gelandet, die mich direkt bis Feld 34 bringt. Hurra! Ich würfle eine Sechs und dann eine Drei und komme wieder auf eine Leiter. Mit einer Zwei wäre ich auf der kleinen Schlange gelandet. Ihr Gesicht erinnert mich an ihn. Dieses ölige, lederartige Gesicht mit Lidern, die zu schwer für seine schwarzen Knopfaugen sind. So lang und schwer wie die Gardinen in unserem Wohnzimmer.
Schon wieder der Schmerz. Ich beiße in den Bettrahmen und breche mir dabei ein Stück vom Zahn ab. Ich suche Kühle, weil ich innerlich verbrenne. Ich glühe wie eine Raumkapsel beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Ich lege einen zweiten Spielstein auf Start, für ihn. Dann kann ich so tun, als würde er mitspielen. Ich will ihn besiegen. Damit es schneller geht, nehme ich beide Würfel. Ich würfle wie besessen, immer abwechselnd für mich und ihn, und die Spielsteine klettern hoch und rutschen wieder runter, immer weiter, bis ganz nach oben. Trotz meines Vorsprungs holt er auf. Sprosse für Sprosse nimmt er. Immer näher kommt seine Glatze mit den Muttermalen. Jetzt bin ich nur noch eine Stufe über ihm, zusammengekauert auf Feld siebenundfünfzig. Wenn er jetzt eine Hand ausstreckt, kann er meinen Fußknöchel packen.
Ich fasse mir zwischen die Beine. Da ist etwas. Etwas Rundes drückt sich heraus, wie ein nasses kleines Tier. Ich breche in kreischendes Lachen aus. Es geht in ein seltsames Geheul über, das mir selbst fremd in den Ohren gellt. Der Drang zu pressen wird übermächtig. Ich glaube, wenn ich jetzt nicht weiterpresse, sterbe ich. Ich brenne und brenne. Ich schreie nach meiner babka. Sie wird mir helfen. Aber sie weiß ja noch nicht einmal, dass ich ein Baby bekomme. Drei Uhr sechsunddreißig. Wo bleiben sie bloß? Ich kann wieder leichter atmen. Eine Atempause. Ich lasse den Würfel rollen. Er wird mich einholen, ganz bestimmt. Er ist nur noch drei Felder hinter mir.
Instinktiv ziehe ich das Kissen näher zu mir heran. Dann zerre ich die Steppdecke vom Bett und mache mir daraus ein Nest. Dabei stoße ich kleine, wimmernde Tierlaute aus. Aus meinem Inneren kommt ein warmer Milchgeruch. Jetzt ist es so weit. Halb sitzend, halb liegend stütze ich mich auf die Ellbogen und spreize die Beine, so weit, wie es geht. Es quillt aus mir heraus. Für einen Augenblick wird alles schwarz und still – das Auge des Sturms. Dann durchfährt mich ein schneidender Schmerz, der mir jedoch nach dem Schlangen-und-Leitern-Spiel mit ihm geradezu erträglich erscheint.
Groß und drohend steht er über mir und schaut auf mich herab. Ein bisschen Spucke sammelt sich in den Winkeln seines breiten, hungrigen Mundes, er lacht, weil es mich jetzt zerreißt. Mit der Spitze seines glänzenden Stiefels stupst er gegen meine Hüfte. Seine Finger kriechen über meinen Körper. Jetzt ist der Kopf draußen. Eine kleine Weile ohne Schmerz. Ein winziges blinzelndes Gesichtchen zwischen meinen Beinen, während mein eigener Kopf rot und erschöpft nach hinten gesunken ist. Es stößt ein leises Piepsen aus. Gleichzeitig spüre ich, wie sein kleiner Körper in mir erzittert. Dann, mit einem letzten stechenden Krampf, rutscht es ganz aus mir heraus und liegt inmitten von Schleim und Blut auf der Steppdecke. Hastig greife ich nach meinem Baby, damit er es
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