Blutskinder
scharf die Luft ein. Seitdem er seine Ausbildung beendet hatte, war er als Anwalt für Familienrecht tätig und hatte in dieser Zeit einige schwere Fälle erlebt. Doch nun, da Mary Bowman – sozusagen als lebender Beweis – vor ihm saß, kamen ihm erhebliche Zweifel, ob er Jed Bowman weiter vertreten sollte. Dabei ging es nicht nur darum, dass es sich hier um eine Vertretung im Rahmen der gesetzlichen Rechtshilfe handelte. In der Vergangenheit hatte es Robert mit ähnlich unappetitlichen Fällen zu tun gehabt, wo Männer, die Autos für hunderttausend Euro fuhren, ihre Frauen prügelten. Seltsamerweise war ihm so etwas früher nicht derart nahe gegangen.
»Womit kann ich Ihnen helfen?« Wie blödsinnig seine Frage klang! Wer konnte dieser Frau schon helfen?
»Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich aufgebe.« Mary Bowman faltete die Hände im Schoß, als wollte sie ihren Worten dadurch Nachdruck verleihen. »Ich bin eine unfähige Mutter und will meine Kinder nicht behalten.« Sie fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und verschmierte dabei ihren Lippenstift.
Robert war wie vor den Kopf geschlagen. Damit hatte er nicht gerechnet. Gewiss, ihre Entscheidung würde dafür sorgen, dass die Akte endlich von seinem Schreibtisch verschwand, doch nachdem er Mary Bowmans verwüstetes Gesicht gesehen hatte, erschien ihm das so grausam, als würde er Ruby wieder auf ihre alte Schule schicken.
»Das hat das Gericht zu entscheiden«, sagte er. »Ihr Anwalt wird Sie nach besten Kräften vertreten und der Beauftragte der Fürsorge wird sicherstellen, dass die Rechte Ihrer Kinder gewahrt werden. Am Ende wird der Richter festlegen, was für die Kinder das Beste ist. Als Rechtsbeistand Ihres Mannes habe ich die Pflicht …« Robert zögerte. Angesichts der Frau, die dort vor ihm saß, verlor seine Pflicht gegenüber Jed Bowman beträchtlich an Bedeutung.
Durch die Anwesenheit der Beklagten hier in seinem eigenen, vierzig Quadratmeter großen Büro mit dem schiefergrauen Teppichboden, dem Mahagonischreibtisch und den Aquarellen an den eichengetäfelten Wänden, bekam der Fall ein menschliches Gesicht. Robert holte tief Luft, bevor er weitersprach: »… die Pflicht, Ihren Mann vor Gericht zu vertreten. Und da es Beweise gibt, dass die Kinder vernachlässigt wurden, und Ihr Verhalten, zum Beispiel der Ehebruch …«
»Hier sind die Beweise für Jeds Verhalten.« Mary strich sich das Haar aus dem Gesicht und drehte ihr Gesicht zum Fenster. Die Verletzungen waren beträchtlich. »Ich gebe auf, weil ich einfach nicht mehr kann. Selbst wenn ich die Kinder zugesprochen bekomme, wird er mich niemals in Ruhe lassen. Eure ganzen dummen Gesetze können ihn nicht von mir fernhalten, nachdem er mich mit seinem Bruder erwischt hat. Das hat ihm mehr zugesetzt als alles andere.« Sie wandte sich wieder zu Robert um. »Da ist in seinem Gehirn was ausgehakt.« Sie zog ein Päckchen Zigaretten aus der Handtasche und steckte sich eine an, ohne Robert zu fragen. »Ich werde immer das Eigentum dieses Mannes sein, egal, wie der Richter entscheidet. Ich hoffe, Sie können bei dem Gedanken gut schlafen.«
»Einen Augenblick mal.« Wie viel Mitleid er auch mit dieser misshandelten Frau haben mochte, in seiner Berufsehre ließ sich Robert nicht kränken. »Was zwischen Ihnen und Jed vorgeht, ist nicht meine Sache. Wenn es Jed einfällt, Sie für den Rest Ihres Lebens jeden Tag zu verprügeln, dann geht mich das nichts an.« Ob es nun am Kaffee oder am Zigarettenqualm lag oder an seinem schlechten Gewissen – Robert hatte einen bitteren Geschmack im Mund, der sich hartnäckig hielt, sooft er auch schluckte. »Meine Sache ist es, im Auftrag Ihres Mannes die Scheidung einzureichen und das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu beantragen. Für zwei hilflose Kinder, die mitansehen müssen, wie ihr Vater ihre Mutter verprügelt, und die zu hören bekommen, dass ihre Mutter mit ihrem Onkel geschlafen hat. Ganz zu schweigen von den Drogen und dem Alkohol und davon, dass die Kinder nur unregelmäßig zur Schule gehen.« Robert verstummte und rief sich selbst zur Ordnung. Er befand sich hier schließlich nicht im Gerichtssaal und Mary war schon gestraft genug.
Mary schnaubte, wobei eine Wolke Tabaksqualm aus ihren Nasenlöchern quoll. »Hat er Ihnen das erzählt? Dass ich Alkoholikerin bin und Drogen nehme?«
Robert ging zum Fenster und öffnete es. Mit der feuchtwarmen Luft drangen der Verkehrslärm und der Gestank nach Autoabgasen ins Zimmer. Er starrte
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