Blutskinder
Verantwortung zu bestehen.
Gegen seinen Willen musste Robert an Jenna denken. Sie beide hatten gar nicht genug Zeit gehabt, um in Alltagstrott zu geraten. Vielleicht, so ging ihm durch den Kopf, hätte eine gewisse Routine ihrer Ehe gutgetan. Vielleicht wäre mit dem täglichen Einerlei das Vertrauen gewachsen und Jenna wäre heute noch am Leben.
Robert spürte, wie sich jenes alte, krankhafte Misstrauen wieder in sein Leben schlich, das seine Ehe mit Jenna vergiftet hatte. Er versuchte, dagegen anzugehen, doch die leise, bohrende Stimme ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Unablässig flüsterte sie ihm zu, dass Erin ihm etwas verheimlichte. Die Ungewissheit machte ihn wahnsinnig.
Robert ging in sein Büro, stieß das Kippfenster auf und hakte den Hebel ein. Mit wütendem Gebrumm schossen zwei Wespen zum Fenster hinaus und surrten über die Dächer davon. Erschöpft ließ er sich in seinen Sessel fallen. Ihm war klar, dass er keine Arbeit erledigt bekam, solange ihm diese Gedanken im Kopf herumspukten.
»Frag sie doch einfach«, murmelte er. »Du kannst sie doch, verdammt noch mal, einfach fragen!« Robert schlug mit der Faust so fest auf die Kante seines Schreibtisches, dass die Computertastatur klapperte. Die Beziehung zu Jenna hatte er derart gründlich kurz und klein geschlagen, dass ihre Ehe auf jeden Fall am Ende gewesen wäre, selbst wenn Jenna den Unfall überlebt hätte.
Vielleicht lag es ja an seinem Beruf, dass er so argwöhnisch und misstrauisch war. Im Laufe seiner Karriere war er vielen zweifelhaften Charakteren begegnet, sodass er eigentlich ein untrügliches Gespür dafür entwickelt haben sollte, ob seine Frau ihm gegenüber aufrichtig war oder nicht. Zumal Erin nicht annähernd den unangenehmen Mandanten glich, mit denen er es normalerweise zu tun hatte. Und außerdem galt auch für Erin der Grundsatz, dass ein Verdächtiger so lange als unschuldig galt, bis seine Schuld bewiesen war. Wenn da nur nicht dieses komische Gefühl gewesen wäre, das er einfach nicht loswurde! Er beschloss, noch am selben Abend Louisa anzurufen.
Robert öffnete den Aktenschrank und langte nach der Flasche Scotch, die er für Notfälle dort gelagert hatte.
Zum allerersten Mal kam es ihm so vor, als würden sich sein Privatleben und sein Beruf vermischen. Bisher war es ihm gelungen, beides sorgfältig voneinander zu trennen, auch wenn er sich oft Arbeit mit nach Hause brachte. Diesmal aber färbte seine Einstellung – diese berufsmäßige Skepsis – auf sein Privatleben ab. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, dass seine zweite Ehe von Vertrauen und Respekt geprägt sein sollte. Doch allmählich spürte er, wie dieser Entschluss ins Wanken geriet. Und nicht zuletzt hatten die ethischen Grundsätze, auf denen der gute Ruf von Mason & Knight ruhte, durch Mary Bowmans Bericht einen empfindlichen Schlag erlitten. Robert spürte mit Entsetzen, dass sein Leben ihm abermals zu entgleiten drohte. Es war genau wie beim letzten Mal.
Erin war mit dem Baden fertig und rief ihm zu, dass sie schnell ein paar Kleinigkeiten einkaufen gehen wolle. Sie hatten sich immer noch nicht gesehen, seit sie nach Hause gekommen war. Rubys Musik drang bis in das oberste Stockwerk. Sie komponierte ein Lied für Art und war offensichtlich mit Feuereifer bei der Sache.
Mit Unbehagen dachte Robert daran, was Ruby ihm erzählt hatte. Wie sollte er Erin nur beibringen, dass ihre Tochter auf eine Party in einem besetzten Haus gehen wollte? Das würde sie nie erlauben. Plötzlich fiel ihm ein, dass er jetzt die Gelegenheit hatte, sich noch einmal diese Kassette anzuschauen. Doch er musste sich beeilen, da das Lebensmittelgeschäft nicht weit entfernt war.
Ihm dröhnte noch immer der Schädel von den Nachwirkungen der Hitze und des zweiten Scotch, der sich nicht besonders mit dem Erdbeershake vertrug. Als er in Erins Arbeitszimmer hinüberging, schwor er sich, dass es wirklich das allerletzte Mal sein sollte. Ein kleiner Ausrutscher in einer ansonsten makellosen Beziehung, in der es sicher auch für die fehlende Geburtsurkunde eine vernünftige Erklärung gab.
Nach einem flüchtigen, prüfenden Blick über die Schulter kniete sich Robert vor den Schreibtisch. Arbeit und Zuhause, Vergangenheit und Gegenwart – alles schien ineinanderzufließen. Vor Gericht war es gang und gäbe, dass ein Anwalt die Taten seines Mandanten mit geschickten Worten beschönigte. Dabei führte er häufig die schweren Lebensumstände des Angeklagten als
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