Blutskinder
Entschuldigung an. Und nun saß Robert hier und versuchte, sich selbst weiszumachen, dass er das Recht habe, in den persönlichen Dingen seiner Frau herumzuschnüffeln, sofern sich dadurch ein Beweis finden ließ. Ein Beweis wofür eigentlich?
Während er geschickt und zielstrebig zu Werke ging, wuchs seine Aufregung immer mehr. Es war wie früher – ein Gefühl, das ihm nur allzu vertraut war. Ihm trat der Schweiß auf die Stirn. Aber nicht aus Scham oder Angst, dass Erin ihn ertappen könnte. Er wusste, dieses körperliche Symptom war ein Zeichen dafür, dass seine Vernunft und sein Instinkt miteinander rangen.
Wie Ruby wenige Stunden zuvor tastete Robert nach der Kassette und zog sie heraus. Einen Augenblick lang lauschte er aufmerksam, bevor er den Schlüssel unter dem kleinen Teppich hervorholte und das Metallkästchen aufschloss. Sein Herz schlug hart im Rhythmus der Melodie, die Ruby gerade spielte.
Behutsam nahm er den ganzen Stapel Unterlagen aus der Kassette. Er musste unbedingt darauf achten, sie in derselben Reihenfolge wieder zurückzulegen. Er dachte kurz an Erin. Sie war jetzt bestimmt im Laden und kaufte eine Flasche Wein, schwarze Oliven und einen Kopf Salat. Vermutlich blieben ihm noch zehn bis zwölf Minuten.
Der Papierstapel bestand aus alten Geburtstagskarten, ein paar Prüfungsurkunden, die Ruby im Klavierunterricht bekommen hatte, einigen Fotos von Ruby am Strand. Auf einem war sie etwa drei Jahre alt, doch er erkannte sie an den unverwechselbaren schokoladenbraunen Augen und dem Grübchen am Kinn.
Robert warf einen flüchtigen Blick auf Schulzeugnisse und einen unvollendeten Brief, den Erin dem Datum nach zu urteilen vor mehr als zehn Jahren geschrieben hatte. Seltsamerweise trug er die Anrede »Liebe Erin …«. Soweit Robert erkennen konnte, hatte sie sich darin Kummer von der Seele geschrieben. Doch die meisten Wörter waren unleserlich und wirkten unzusammenhängend. Schließlich löste er das rote Band, mit dem ein dickes Bündel Briefe zusammengebunden waren. Er konnte sich nicht recht entscheiden, was er in der kurzen Zeit zuerst öffnen sollte, und wählte aufs Geratewohl den Umschlag einer Geburtstagskarte.
»Meiner lieben kleinen Ruby zu ihrem fünften Geburtstag. Ich werde Dich immer liebhaben. Deine Mummy.«
Lächelnd schlug Robert die nächste Karte auf. Diesmal war es ein Glückwunsch zu Rubys siebtem Geburtstag, wieder unterschrieben mit »Mummy«.
Kein Daddy?, dachte Robert verwundert und schob die Karten wieder sorgfältig in die Umschläge. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Wann sich Erin ihren eigenen Worten nach von Rubys Vater getrennt hatte, wusste er nicht mehr, und er wollte es auch gar nicht so genau wissen. Aber er hatte allmählich den Eindruck, als sei Ruby zu dem Zeitpunkt noch sehr klein gewesen.
Er blätterte die anderen Briefe und Postkarten durch. Die meisten trugen die Londoner Adresse, wo Erin gewohnt hatte, als sie sich kennenlernten, doch etwa ein halbes Dutzend war an »Floristik taufrisch« adressiert. Es waren sowohl Postkarten mit wenigen Worten darunter als auch mehrere Seiten lange Briefe. Alle trugen als Unterschrift nur die verschnörkelten Buchstaben »BK«, in roter oder grüner Kugelschreiberschrift. Die Handschrift war kaum zu entziffern. Bei einem Brief, den Robert aus dem Umschlag nahm, hatte der Schreiber sogar über den gedruckten Briefkopf hinweggekritzelt.
Mit Mühe entzifferte er den Absender: King’s Blumen, Market Street, Brighton, und las, was BK zu sagen hatte.
Meine liebste Erin,
ich vermisse Dich ganz schrecklich. Jeder fragt mich, wo Du bist. Ich freue mich, dass Du diesmal in der großen Stadt zurechtkommst. Hüte Dich vor den ganzen garstigen Männern! Schließlich bin ich nicht mehr da, um Dich zu beschützen. Kann sein, dass ich in ein, zwei Monaten in die Stadt komme. Ich rufe Dich aber vorher an, damit Du schon mal das Bett herrichten kannst, mein Schatz.
Die Blumen lassen die Köpfe hängen, seit Du nicht mehr da bist.
Für immer in Liebe,
Dein B. K.
Robert krampfte sich der Magen zusammen. Für immer in Liebe – dafür war er doch jetzt zuständig! Er legte den Brief auf den Stapel und nahm einen anderen zur Hand. Wieder ging es um einen Besuch und darum, wie sehr Erin in Brighton vermisst wurde. Ein paar Mal wurde erwähnt, was für ein braves Kind Ruby doch sei. Einer der Briefe trug die Unterschrift »Onkel Baxter«.
Wenn der Absender aller Briefe Erins Onkel war, dann konnte sie wohl
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