Blutskinder
gibt.«
»Richtig, er hat seine fünfzig Piepen auf den Tisch gelegt und dafür bekommen, was er wollte. Und hat nebenbei Ruby gezeugt.« Auf Roberts gequältes Stöhnen hin drehten sich mehrere Gäste zu ihnen um. Er beugte sich vornüber und legte den Kopf zwischen die Knie. Ihm war schlecht. Wie sollte er jemals wieder seine Stieftochter ansehen, ohne daran denken zu müssen, dass sie womöglich das Ergebnis eines längst vergessenen, geschäftsmäßigen Aktes war? Wie sollte er jemals wieder seine Frau berühren, ohne sich zu fragen, wie viele Männer es vor ihm gegeben hatte? Mit leerem Blick starrte er vor sich hm. »Wenn diese Ehe nicht auch in die Brüche gehen soll, brauche ich deine professionelle Hilfe, Louisa. Du musst der Sache auf den Grund gehen«, sagte er und stand auf.
Auf dem Weg zur Toilette fragte sich Robert, ob sich Louisa wirklich alle Mühe geben würde, seine Ehe zu retten. Außerdem wusste er, dass sie bei ihrer Arbeit dem Grundsatz »Der Zweck heiligt die Mittel« folgte. War eine solche Einstellung wirklich moralischer als Erins Dasein als Prostituierte? Wahrscheinlich schon.
Als er an den Tisch zurückkam, sagte Louisa: »Ich brauche eine Unterkunft, einen Wagen, einen Internetanschluss, fünfhundert Pfund im Voraus und noch mal tausend als Entschädigung für den Job, der mir durch die Lappen geht.« Sie nahm die Brille mit dem dunklen Rahmen ab und blickte ihn mit ihren geradezu unnatürlich grünen Augen an. Da musste Robert einfach ja sagen.
Eine Stunde später hatte sich Louisa ein Zimmer in einem Hotel genommen. Robert folgte ihr durch das Foyer und betrachtete dabei ihre durchtrainierten Beine. Sie rief in ihrem bisherigen Hotel an und bat darum, dass man ihr das Gepäck nach London nachschickte. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, mit in ihr Zimmer zu gehen, doch da sie immer noch auf dem Handy telefonierte und er sich von ihr verabschieden wollte, folgte er ihr. Er schaute auf die Uhr – er wurde sicher noch nicht vermisst.
15
E
s ist kalt. So kalt, dass ich mein Baby unter meinem schmutzigen Parka ganz fest an mich presse. Sein Gesicht liegt an meinem Hals, und ich spüre seine winzig kleinen Atemzüge auf der Haut. Die Kleine duftet süß nach Milch und reißt die Augen verwundert auf, vermutlich weil ich so renne. Wir sind auf der Flucht, rasen über den gefährlich eisglatten Parkplatz am Supermarkt, schlängeln uns durch die Menschenmassen auf der Hauptstraße und stürmen mit Volldampf durch die Holt’s Alley bis zu der Reihenhaussiedlung dahinter. Das sollte wohl genügen, um sie abzuschütteln. Ich gebe meinem Baby durch die kleine Wollmütze hindurch einen Kuss auf den Kopf.
»Keine Angst, mein Schätzchen. Mummy lässt nicht zu, dass sie uns kriegen.«
Ich habe keine Ahnung, wohin wir gehen sollen, aber nach dieser wilden Flucht an einem blauen, eisigen Wintermorgen bin ich so erschöpft, dass ich mich unbedingt ausruhen und mein Baby stillen muss. Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Auf Bahnsteig zwei gibt es ein Café, und außerdem wäre es eine gute Idee, in einen Zug zu steigen und so weit wie möglich wegzufahren.
Vom Laufschritt falle ich in schnelles Gehen, um wieder zu Atem zu kommen. Mit dem Kind auf dem Arm kann ich unmöglich durch die ganze Stadt rennen. Die Geburt liegt erst eine Woche zurück und noch immer fühlt sich mein Körper wie ausgeleiert an. Meine Brüste sind so angeschwollen von der Milch, dass mir das Laufen schwerfällt. Aber wenn wir hier rauskommen wollen, müssen wir unbedingt weiter.
In den Illustrierten sagen sie immer, dass sich junge Mütter schonen und die Arbeit ihren Angehörigen und Freunden überlassen sollen. Und was mache ich? Ich renne durch die Gegend und errege wahrscheinlich überall Aufmerksamkeit. Aber sie kriegen mich nicht. Mein Baby gehört ganz allein mir.
Ich habe sie Ruby genannt, weil sie so rote Lippen hat. Es heißt immer, dass man die Strapazen einer Geburt schnell vergisst. Sonst würde wohl keine Frau das Ganze ein zweites Mal auf sich nehmen. Aber ich kann mich noch an jede Einzelheit erinnern. Was in meinem Kopf durcheinandergeht, sind die Tage danach.
Mutter und Vater kamen erst von der Silvesterfeier bei Onkel Gustaw und Tante Anna zurück, als die Sonne schon am Himmel stand. Ich wachte auf, vielleicht von den Sonnenstrahlen, die mir ins Gesicht schienen, oder von der fröhlichen Stimme meiner Mutter unten im Flur (Neujahr ist der einzige Tag, an dem meine Mutter fröhlich ist).
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