Blutskinder
Zug an der Zigarette und bläst den Rauch aus, der zum Kamin zieht.
»Weiter im Norden.« Vorsicht jetzt, denke ich. »Mein Baby …?«
»Bist du neu in London?«
Ich nicke. Ich mag ihre Art, Dinge zu erraten. Meine Mutter erriet nie etwas. Meine Schwangerschaft fiel ihr erst auf, als ich schon im sechsten Monat war. »Geht’s meinem Baby denn gut?«
»Hast du eine Bleibe? Einen Job?«
Eine Menge Leute kommen jeden Tag nach London, um hier ihr Glück zu machen. Dann werde ich das doch wohl auch schaffen. Wenn ich nur erst mein Baby wiederhätte! »Nein, aber ich finde schon was. Ich bin nur umgekippt, weil mir nicht gut war. Mein Bauch tut so weh.« Kaum habe ich es gesagt, ist mir, als würde mir jemand einen Spieß durch die Eingeweide bohren und mich über einem Feuer rösten. »Ich bin bald wieder gesund. Holen Sie mir jetzt mein Baby?«
»Dein Baby?« Sie inhaliert den Zigarettenrauch. Dann sagt sie: »Dein Baby wird gut versorgt, Schätzchen. So ist es am besten, bis es dir wieder besser geht.«
»Ist sie krank? Kann ich sie sehen?«
»Sie wird wieder gesund, aber sie braucht Ruhe. Und du auch, Schätzchen.« Ihre Stimme ist wie Balsam. Wahrscheinlich hat sie recht, denke ich, als mir wieder alles vor den Augen verschwimmt. Ruby und ich, wir müssen uns beide ausruhen. Ich vertraue der Frau. Sie ist so nett.
Wir reden noch ein bisschen. Dann muss ich zur Toilette. Doch als ich aufstehe, dreht sich mir alles. Mühsam schleppe ich mich bis zur Diele und durch einen dunklen Korridor zum Klo. Das große alte Haus hat einen Fliesenboden. Es ist nicht besonders hübsch hier, aber wenigstens habe ich ein Dach über dem Kopf. Wegen der Schmerzen ist mir sowieso alles egal. Als ich mir die Hosen runterziehe, rutscht ein blutiger, wabbeliger Klumpen aus mir heraus. Er sieht aus wie die Leber, die Mutter immer beim Metzger gekauft hat. Von dem Geruch wird mir schlecht und ich schreie nach Freda.
Sie bringt mich nach oben ins Bett, macht mich sauber und wischt mir mit einem nassen Lappen durchs Gesicht. Dann drückt sie mit den Fingern fest auf meinen Bauch, in dem noch vor einer Woche mein Baby war. Jedes Mal, wenn ich vor Schmerz aufschreie, spitzt sie die Lippen und macht »Hmm.« Sie fragt mich, ob mir sonst noch etwas wehtut, und ich erzähle ihr, dass meine linke Brust wie Feuer brennt. Sie schaut sie sich an und bekommt einen Schreck, weil die Brust knallrot ist. Sie sieht aus wie eine riesige Erdbeere.
»Na, du bist ja ganz schön daneben, mein Mädchen«, sagt sie. Ich bekomme Angst, denn das war mir gar nicht klar. »Hat die Hebamme kontrolliert, ob die Nachgeburt richtig rausgekommen ist?«
Ich schaue sie mit offenem Mund an, so wie in der Schule, wenn die Lehrerin mich was fragte und ich nicht aufgepasst hatte. Dann starrte sie mich immer ganz böse an, und die ganze Klasse kicherte. Ich zucke mit den Schultern und schaue mich rasch im Zimmer um. Da stehen noch drei weitere Betten mit weißer Bettwäsche und gelben Überwürfen. Von der Decke baumelt eine nackte Glühbirne, deren Licht meine Augen blendet. Die orangefarbenen Gardinen sind halb zugezogen, und es ist kalt hier drin. Ich muss wieder daran denken, was Rachel von dem Frauenhaus erzählt hat, als sie wieder daheim war. Ein Teil von mir möchte nach Hause.
»Ich weiß nicht«, flüstere ich.
»Hast du dein Baby im Krankenhaus bekommen?«
»Zu Hause«, sage ich und bereue meine Worte im selben Augenblick.
»Und wo ist das?«
»Oben im Norden.« Mehr kriegt sie nicht aus mir heraus.
»Wer hat dir bei der Geburt geholfen?« Freda sitzt jetzt auf der Bettkante. Ihr Gewicht drückt die Matratze ein, sodass ich fast zu ihr hinrolle.
»Keiner. Ich war a llein.« Ich schließe ganz kurz die Augen, weil mir einfällt, dass Onkel Gustaw da war und mich betatschte, während ich mich krümmte und schrie wie ein wildes Tier. Aber das verrate ich ihr nicht.
»Du hast eine Gebärmutterentzündung, und zwar eine ziemlich schlimme. Und obendrein noch Mastitis. Ich muss dir Antibiotika besorgen.«
»Der Mann hat gesagt, Sie wären Krankenschwester gewesen und könnten mich wieder gesund machen.« Ich bin froh, dass sie weiß, was mir fehlt.
»Das hat Becco gesagt? Na ja, ich bin wohl eher ein Kindermädchen.« Sie grinst. »Für alle unsere Mädchen hier. Ich bringe dir auch Tabletten mit, die die Milchproduktion stoppen. Solange dein Baby anderweitig versorgt wird, brauchst du ja keine Milch. Jetzt bleibst du erst mal ein paar Tage im Bett. Was
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