Blutskinder
der sie daran erinnern sollte, Tamarindenpaste und Mandelsplitter zu kaufen – beim Anblick dieser alltäglichen Dinge wusste er plötzlich, dass er es jetzt, nach dem Besuch bei Helena, fertigbringen würde, Erin zu verzeihen. Es würde ihn viel Kraft und Überwindung kosten, doch es war möglich. Wenn sie nur wieder nach Hause käme.
Robert schaute sich noch einmal in dem leeren Haus um – Louisa war gegangen, ohne eine Spur zu hinterlassen – und legte sich dann hin, um die letzten Reste seines Rausches auszuschlafen.
Er hatte das Gefühl, gerade erst eingenickt zu sein, als ihn am nächsten Morgen das Klingeln des Telefons weckte. Einen Augenblick lang hoffte er, Erin würde ihn anrufen, doch es war Louisa. Sie amüsierte sich über seine verschlafene Stimme und teilte ihm auf ihre ruhige, besonnene Art mit, dass sie interessante Neuigkeiten für ihn habe.
20
I
ch bin vielleicht dumm! Erst jetzt, wo ich in eine Decke gewickelt vor dem Feuer sitze und gesüßten Tee trinke, geht mir auf, dass Ruby in Sicherheit ist und dass er mich weder umbringen noch mir mein letztes bisschen Geld abnehmen will. Als er sich auf die Armlehne eines zerschlissenen Sessels hockt und mich eingehend mustert, bringe ich ein Lächeln zustande. Er leckt sich über die Lippen.
»So wie du jetzt aussiehst, wirst du garantiert nichts reißen können, Süße«, sagt er und ich frage mich, was er damit meint. Schließlich kennt er mich doch gar nicht und er hätte mich auch nicht von der Straße aufzulesen brauchen. »Mir scheint, dir geht’s nicht besonders«, setzt er hinzu. »Das ist jammerschade, denn du bist eigentlich ein hübsches Mädchen.«
»Wo ist mein Baby? Was ist mit mir passiert?« Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich krank bin.
»Ich bin kein Arzt, Süße, aber Freda war früher Krankenschwester. Wenn sie zurückkommt, wird sie dich mal anschauen und dir ein bisschen Medizin geben.«
»Freda?« Das muss seine Frau sein, denke ich. Obwohl er nicht aussieht, als wäre er verheiratet. Die Flammen werfen seinen flackernden Schatten an die Wand. Seine Nase sticht vor wie ein Geierschnabel, und seine Mundwinkel sind nach unten gezogen. »Ich will mein Baby sehen. Wo ist es?«
»Um so was kümmert sich hier Freda.« Der dürre Mann starrt mich an, als versuche er sich zu erinnern, woher er mich kennt. »Deinem Baby geht’s gut.«
»Oh«, sage ich nur. Ich finde, dass er nett ist. Auf jeden Fall hatte ich Glück, dass mich nicht die Polizei aufgegriffen hat. Die hätte mich schnurstracks nach Hause gebracht.
»Freda und ich, wir führen eine Art Wohnheim für hübsche junge Frauen.« Er spitzt den Mund beim Sprechen, wodurch seine Gesichtszüge noch schärfer wirken. Er ist sehr braun und dünn.
»Meinen Sie obdachlose Frauen?«, frage ich und setze mich gerade hin. Ich kann mein Glück noch gar nicht fassen, aber ich muss vorsichtig sein. Immerhin wurde meine Freundin Rachel damals, als sie von zu Hause ausgerissen ist, von dem Frauenhaus wieder zu ihren Eltern geschickt. Ich beschließe, mich älter zu machen; dann wirkt es auch normaler, dass ich ein Baby habe. Wer weiß, was sie in den Nachrichten über mich gebracht haben.
Während er nachdenkt und ich auf seine Antwort warte, fährt mir auf einmal ein stechender Schmerz durch den Leib. Mir ist, als würde mir jemand den Bauch aufreißen, und außerdem ist meine linke Brust steinhart.
»Ja, genau, für obdachlose Frauen.« Grinsend kommt er zu mir herüber und geht neben meinem Stuhl in die Hocke. Wieder spitzt er die verkniffenen Lippen. »Du brauchst nicht zufällig eine Bleibe?«
Ich nicke, versuche aber, mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen, damit er den Preis nicht in die Höhe treibt. Ich bin ja nicht blöd. Wenn er mir nur endlich mein Baby bringen würde!
»Ich weiß aber nicht, ob wir noch was frei haben, Süße. Das musst du mit Freda besprechen, wenn sie zurückkommt. Wir platzen nämlich aus allen Nähten, bei den ganzen obdachlosen Mädchen, um die wir uns kümmern müssen.«
Mir wird auf einmal ganz kalt. »Ist es wegen meinem Baby? Sie ist ganz brav und schreit fast gar nicht.«
»Es hat nichts mit deinem Baby zu tun, Süße. Ein paar von den Mädchen haben auch Kinder gekriegt und helfen sich jetzt gegenseitig. Aber ich kann noch nichts versprechen. Trink mal deinen Tee.«
»Können Sie mir nicht mein Baby holen? Als ich ohnmächtig wurde und Sie mich gefunden haben, hatte ich doch ein Baby bei mir! Sie heißt Ruby. Geben Sie
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