Blutskizzen
Schweigen. Das Gebläse ist leiser als gestern, kleinere Stufe. Immer noch ganz schön warm hier drin.
»Hat sich was aus dem Stadtplan ergeben?«
Binz pustet in seine Tasse, nimmt einen Schluck. »Müssen wir noch sehen. Ist noch nicht ganz trocken.«
»Gut. Ich bin oben. Wenn noch was ist...«
Sie schlurfen wieder zum Tisch, besprechen was Technisches.
Die Neonröhre springt mit einem kehligen Brummen an, flackert, das Brummen wird leiser. Ist zu hell heute Morgen, Schreibtischlampe. Alte Luft, Fenster auf kipp. Die Kälte zieht Schlieren durch den Raum, die Straßengeräusche von unten klingen heller. Ach, ja, Markt. Ist ja Donnerstag. Schon einiges los. Vermummte Gestalten, Taschen in den Armbeugen, schnell unter den nächsten Stand, manche rennen. Nur die Schirme bewegen sich langsam.
Die Tür wird leise geöffnet, Atze lehnt sich rücklings rein.
»Da bist du ja endlich.«
»Ja, meine Karre ist nicht angesprungen. Bei dem feuchten Wetter zickt der Verteiler immer rum.«
»Du solltest dir vielleicht mal’n Auto kaufen, was nach 1980 gebaut worden ist. Wir wollten uns um halb neun zusammensetzen. Wir hätten dich gern dabei.« Von hinten weiche Wellen kalter Luft.
»Halb neun geht klar.«
Er zieht die Tür leise zu. In der Bank gegenüber etwa die Hälfte der Fenster beleuchtet. Innerhalb der nächsten zehn Sekunden geht irgendwo ein Licht an. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierund... In der dritten Etage rechts wird es hell. Gewonnen.
Hinter den Marktständen sucht eine Alte im gelben Friesennerz die abgestellten Kartons durch. Gebückte Haltung, die Wirbelsäule fast im rechten Winkel geknickt. Sie findet was, stopft es in die Plastiktüte, geht. Sie bleibt stehen, gestikuliert, spricht mit jemandem unter dem Zeltdach. Wahrscheinlich. Sie wartet. Es erscheint ein Arm mit einer Tüte. Sie nimmt sie, bedankt sich, geht.
Ulla am Kopfende, sortiert hektisch Akten, sieht kurz zu Atze und Helmut. »Bin gleich so weit. Kann sich nur noch um Stunden handeln.«
Atze kommt von der Seite, will helfen, fängt sich einen giftigen Blick ein. Er lässt es.
»Mach man, ich bin eh nur informatorisch hier.« Helmut lässt die Hände gefaltet auf dem kleinen Kugelbauch.
»Einer was dagegen?« Ernst hält einen Zigarillo hoch. Keiner was dagegen. Er zieht den Aschenbecher zu sich, Atze steckt sich auch eine Kippe an, hält die Schachtel hin. Ne, ne, ich nicht mehr.
»Ne, ne, ich nicht mehr, davon bin ich ab.«
Ulla sortiert weiter, wissendes Nicken. Ihre blonden Stoppeln wirr verklebt, wie gemeißelt. Die war sonst doch immer rot. Jetzt schon länger nicht mehr. Ende der roten Phase. Nur noch die Kleidung. Das rote T-Shirt passt zu ihren Lippen, spannt auf den Oberarmen. Sieht man, dass sie kilomäßig im Plus ist. Kriegt sie sonst besser hin mit ihrer Kleidung.
»So!« Sie trimmt einen Stapel Blätter auf gerade, legt ihn weg. »Ich will mal die Fakten vorlegen und hätte gern eure Meinung dazu gehört. Ich glaube, es stimmt viel überein bei den beiden Taten. Erstens die Auffindesituation. Bei der MK Container ist die Leiche in einem Müllcontainer im Industriegebiet gefunden worden, bei der MK Weidengrund in einem Container auf einem Bundesstraßenrastplatz. Beides Orte, die man relativ gefahrlos erreichen und verlassen kann. Zweitens sind beide Opfer ältere Männer...« Helmut murrt leise. »… okay, Männer mittleren Alters, jedenfalls der eine.« Kurzes theatralisches Grinsen. »Drittens waren beide nackt und gefesselt und lagen ähnlich in den Containern. Viertens sind beide gewürgt worden, wobei Kunz noch eine heftigere Schädelverletzung hat.«
»Und der Letzte ist mit einer Schnur oder einem Tuch gewürgt worden, der Erste mit den Händen.« Atze, hebt kurz den Kugelschreiber.
»Ja, das ist auch ein Unterschied.« Ulla lehnt sich zurück, das Neonlicht schimmert matt auf ihrem Make-up. »Also, was meint ihr?« Stille, sie blickt von einem zum anderen.
Liegt doch fast auf der Hand bei den Parallelen. Aber genau nachdenken. Gibt’s auch was, was dagegen spricht?
»Konni, was sagst du?«
»Auf den ersten Blick gibt es fast keinen Zweifel. Was ist denn mit den Opfern? Kann man schon irgendwas zu den Motiven sagen, warum die beiden?«
Sie seufzt, presst die Lippen aufeinander, blättert eine Seite um. »Beim Opfer vom Weidengrund wissen wir noch gar nicht, wer es ist. Bei Walter Kunz, der aus dem Container am Supermarkt, ist es schwierig. Sexualmord können wir
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