Blutskizzen
gehen.
Wo waren wir? Subjektiver Befund. Der Kaffee müsste langsam durch sein.
In der Ecke wird immer noch diskutiert, alle mit Kaffeebechern in der Hand. Zwei Nachbarn haben was gehört. Die Kontrollleuchte der Kaffeemaschine glimmt einsam, die Kanne steht daneben. Schütteln, fühlt sich leer an.
»Ist leer, Konni, musst dir welchen kochen.« VG, nimmt nebenbei einen Schluck, gelbe Tasse mit Polizeistern »Wir sind für Sie da!«
»Es gibt Augenblicke, da kann ich unsere Täter durchaus verstehen, durchaus.«
VG glotzt fragend.
16 Uhr 07
Der Sprecher leiert die Verkehrshinweise runter, irgendwo ein brennender Lkw, jetzt nicht. Im Westen zwischen schwarzgrauen Wolkenfudern ein leuchtender Spalt wie glühende Stahlwolle. Die Sonne. Tatsächlich die Sonne, dass es die noch gibt. Abendrot Gut-Wetter-Bot’, vielleicht stimmt’s ja mal. Der Riss klafft weiter auf, zu hell zum Hinsehen, einmal kurz die Augen zu, ah. Mühelose kleine Erleichterung, der Schlaf hängt augenblicklich seine Gewichte ans Bewusstsein. Von unten dumpf eine Straßenbahn, Hupen, auf dem Flur wird gerufen, wie aus einer anderen Milchstraße.
Ayse hinter dem Tresen, ist beschäftigt, zwischendurch Blicke, längere Blicke mit kleinen Botschaften. Sie bedient die Gäste, bewegt sich im Raum, schwerelose Freundlichkeit. Immer wieder ganz dicht vorbei, ignoriert demonstrativ, beim Zurückkommen mit dem Zeigefinger wie zufällig über den Unterarm. Gänsehaut.
Weiter die Akte. Vorher kurz die E-Mails checken, nichts Neues dabei. Die Zeugenaussagen später mal lesen, Obduktionsbericht interessiert jetzt auch nicht, Vernehmung wie gehabt, hat nichts gesagt.
Vermerk 10. 07. 84 Der Beschuldigte
Bernd Michels, 30. 07. 66 in Kaiserslautern, machte bei den bisherigen Vernehmungsversuchen einen verwirrten und unkonzentrierten Eindruck, was sich auch in seinen Angaben zur Person widerspiegelt.
Amtlich konnte bisher Folgendes in Erfahrung gebracht werden:
Der Beschuldigte ist als uneheliches Kind der Näherin Gertrud Michels, 14. 03. 39 in Augsburg, zur Welt gekommen. Der Vater ist unbekannt.
Ayse durchs Fenster, fühlt sich unbeobachtet, serviert, die Haut auf der Stirn glänzt.
Das Kind wurde von der Mutter allein aufgezogen und unternahm mit ihr, soweit nachvollziehbar, mehrere Wohnungswechsel, beide wohnten aber seit 1975 in Nürnberg. Von 1975 bis 1981 bei der Mutter, nach deren Tod wurde der Beschuldigte in eine betreute Wohngruppe des Jugendamtes Nürnberg übergesiedelt, da keinerlei verwandtschaftlich relevanten Personen existierten.
Ayse beim Gläserspülen, das Wasser klebt die Härchen an ihren Unterarm.
Der Beschuldigte war bis zum Tod der Mutter auf dem Elsa-Brandström-Gymnasium ein Schüler mit weit überdurchschnittlichen Leistungen. Nach dem Tod der Mutter und den damit verbundenen psychischen Belastungen brach die schulische Leistung eklatant ein, so daß der Schüler nach einer Wiederholung des Schuljahres die Schule verlassen mußte.
Ayse lächelt, auf ihrer rechten Wange für einen Augenblick ein flaches Grübchen.
Darüber hinaus war der Beschuldigte ein talentierter Sportler, der in mehreren Disziplinen in der Leichtathletik an Landesmeisterschaften teilnahm. Auch diese sportliche Betätigung unterbrach er nach dem Tod der Mutter für einige Monate. Anfang 1983 begann er unter der Leitung des späteren Opfers
Franz Xaver Huber, 11. 01. 21 Augsburg, wieder zu trainieren.
Ayse, das Rosa unter ihren Nägeln.
Der Beschuldigte hat im Jahre 1983 seinen Realschulabschluß gemacht und bei der Firma Grabenkamp und Söhne eine kaufmännische Lehre begonnen.
Nach Angaben des leitenden Sozialarbeiters der Wohngruppe, Michael Grube, war der Beschuldigte introvertiert und teilweise zurückgezogen, aber grundsätzlich in seinem Verhalten unauffällig. Er habe in Gesprächen seine Vergangenheit kaum thematisiert, lediglich die häufig wechselnden Beziehungen der Mutter hätten ihn gestört. Mit einzelnen Partnern habe es auch Reibereien gegeben, besonders dann, so die Einschätzung des Grube, wenn diese Personen sich als strenger Vaterersatz gesehen hätten. Hinweise auf ein Aggressionspotential, welches zur Verletzung oder Tötung eines anderen Menschen hätte führen können, habe es zu keiner Zeit gegeben.
Goldbeck, KHK
Die Augenlider führen ein Eigenleben. Nicht schon wieder Kaffee, lieber mal aufstehen.
Der Parkplatz ist nur halb gefüllt, die meisten im Spaziergängertempo unterwegs. Die Straßenlaternen sind schon an,
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