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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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paar Augenblicke, hinter dem Milchglas Bewegung, die Tür öffnet sich einen Spalt.
    »Ja bitte?« Mit versteckter Erschöpfung. Das Gesicht hat sich kaum verändert.
    »Guten Abend, Herr Siele, mein Name ist Konstantin Kirchenberg, ich wollte zu Ihrem Bruder.«
    Eine Ahnung gleitet über seine Züge, verhindert weitere Ablehnung.
    »Dem geht es nicht gut.«
    »Ich weiß, deshalb bin ich hier. Wir, Ihr Bruder und ich, haben mal im selben Haus gewohnt, da sind wir zwei uns seinerzeit auch einmal begegnet.«
    »Ich erinnere mich.« Seine Freundlichkeit wird aufrichtig. »Sie sind der Polizist. Mein Bruder hat öfter von Ihnen gesprochen.« Er öffnet die Tür weiter, einladende Bewegung. Wohnungsgeruch im Flur, er geht vor, die Tür zum Wohnzimmer mit Facettenscheiben.
    Siele sitzt im Stuhl vor dem Fenster, die Beine hochgelegt, ein Kissen im Rücken. Seine bleiche Müdigkeit verwandelt sich in Erkennen, freudiger Blick aus hohlen Augen. Er richtet seinen Oberkörper auf, versucht, nicht sterbend auszusehen, ohne Erfolg. Er nimmt die Hand, hält sie lange fest, kein Wort, auf seinem Gesicht kämpft sich ein schwaches Leuchten durch.
    »Das freut mich aber sehr.« Seine Stimme hat fast noch die alte Kraft.
    »Ich hatte von Frau Gierth gehört, dass Sie krank sind, und dachte mir, ein Besuch wäre vielleicht ganz schön.«
    »Eine sehr gute Idee. Und wie geht es Ihnen, mein Lieber?«
    »Mir geht es wie immer, ich will nicht klagen.«
    Er versucht ein Lächeln. Der Bruder kommt aus der Küche, eine Kaffeekanne in der Hand.
    »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten, ist grad welcher fertig.«
    »Sehr gern. Gehört für Polizisten ja fast zu den Grundnahrungsmitteln.«
    Er gießt ein, stellt die Milch daneben, die beiden wechseln einen brüderlichen Blick. Der Kaffee ist stark und gut, Siele lehnt den Kopf an die Rückenlehne, selbstverständliche Stille füllt den Raum, nur das Klappern des Bruders in der Küche.
    »Wie geht es Ihnen?« Originelle Frage.
    Er lässt sich etwas Zeit. »Nun, ich denke, ich werde bald sterben.« Ohne jede Verzweiflung. »Sie werden sicherlich denken: Das müssen wir doch alle! Richtig. Nur ist der Tod bei mir mittlerweile so nah, dass ich mich wenden kann, wie ich will, ich muss ihm in die Augen sehen.«
    Als gösse jemand Eiswasser in den Nacken. Was sagt man denn darauf?
    »Hilft Ihnen Ihr Glaube dabei, so als ausgebildeter Pastor?«
    Er wendet den Kopf, denkt nach, sieht wieder her. »Ja, mein Glaube hilft mir dabei.« Väterlicher Blick. »Für Sie sicherlich schwer vorstellbar, nicht wahr?«
    »Ich sehe, Sie erinnern sich an unsere Gespräche… Nein, vorstellen kann ich mir so etwas gut, und ich hätte selbst auch eine Sehnsucht danach, aber ich habe so viele Fragen.«
    »Oh, Fragen, die habe ich auch, bis heute, auch nach all diesen Jahren.«
    »Aber wohl andere als ich. Sehen Sie, manchmal kommt es mir schon vor wie Herr-der-Ringe mit Realitätsanspruch. Da gibt es andere Welten, es geht um Gut und Böse, und es gab mal einen Zauberer, der Fische vermehren und übers Wasser gehen konnte.« Zwischen dem Kaffee und unserem auf der Dienststelle liegen Milchstraßen. »Und die Sache mit dem Tod am Kreuz habe ich nie verstanden.«
    »Schon möglich, dass ich andere Fragen habe«, seine Stimme klingt wie früher, er spricht nur langsamer. »Aber diese Fragen hatte ich mein ganzes Leben. Ich habe oft gekämpft, und vielleicht hat es nie aufgehört.«
    Er versucht, seine Sitzposition zu korrigieren. Einmal helfen. Mit der Rechten fasst er den Unterarm, seine Schulter fühlt sich knöchern an. Er nickt zufrieden, bedankt sich.
    »Ich war immer kritisch und habe viele Diskussionen geführt, glauben Sie mir, und ich kenne natürlich all die Argumente. Eine kreative Intelligenz, Überlebenskonstrukt ängstlicher Individuen...« Er winkt ab. »Ich bin natürlich auch ein Kind des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich weiß nicht, wie er aussieht da oben. Könnte ich ihn überhaupt wahrnehmen in seiner jetzigen Form? Überhaupt, da oben?« Langer Blick, eine Ruhe erfasst ihn. »Aber ich spüre etwas anderes, ich spüre, dass es mich trägt, dass es wirklich etwas Erlösendes hat.«
    Der Bruder kommt, hält die Kanne hoch, nein danke.
    »Vielleicht, lieber Herr Kirchenberg, beginnt das ewige Leben in dem Augenblick, in dem wir anfangen, daran zu glauben.« Er sitzt da, wie gerade aufgewacht, seine Gedanken sind irgendwo anders. Glücklicher alter Mann.
    »Vielleicht komme ich eines Tages auch noch mal

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