Blutskizzen
doch noch gar nicht gearbeitet.« Amüsierte Stimme.
»Selber Scherzkeks, ich meine natürlich den Beamten, der auch am Sonntag für Recht und Ordnung sorgt, damit andere beruhigt ausschlafen können.«
»Ach so«, offenes Lachen. »Sieht eigentlich ganz gut aus. Die Fußballer müssten gleich kommen. Ich habe denen gesagt, zwei Stunden ist okay, danach hätte ich Zeit.«
»Wunderbar. Sagen wir, gegen acht?«
»Ja, ist okay.«
»Bis dann, ich freu mich.«
Auflegen.
Die E-Mails.
Dienstag fällt wegen Systemarbeiten der Server zwischen 23.00 und 00.00 Uhr aus.
Wer schickt einem denn so was? Am Sonntag?
18 Uhr 11
Nürnberg, 01. 07. 84
Vernehmung Michels, Bernd, 30. 07. 66 in Kaiserslautern.
Zur Person:
Ich bin in Kaiserslautern geboren, wir, das heißt meine Mutter und ich, sind aber schon bald nach Nürnberg gezogen. Wann genau, weiß ich nicht mehr, ich meine mich zu erinnern, daß sie gesagt hat, es sei zwei Jahre nach meiner Geburt gewesen, also 1968. Meinen Vater habe ich nie gekannt oder gesehen. Meine Mutter kannte ihn, hatte aber den Kontakt vor meiner Geburt abgebrochen. 1972 bin ich eingeschult worden. Ich war ein guter Schüler und bin auf Empfehlung der Lehrer nach der fünften Klasse zum Gymnasium gegangen. Dort bin ich eigentlich auch ganz gut zurechtgekommen. Ab der Quinta hat mich mein damaliger Sportlehrer, Herr van de Kerkhof, in einen Leichtathletikverein geholt. Ich war ein guter Sprinter und Werfer und habe in den folgenden Jahren auch an Landesmeisterschaften teilgenommen, war sogar Medaillengewinner. Wir sind in den Folgejahren dann ein paarmal umgezogen, wie oft, weiß ich nicht mehr genau, ich meine, es wäre viermal gewesen. Erinnern kann ich mich nur noch an die Wohnungen in der Motterstraße und der Rollnerstraße.
Einmal die E-Mails nachsehen. Nichts aus Leverkusen, nichts aus Weiden.
Mit meiner Mutter habe ich mich immer sehr gut verstanden.
Nachfrage:
Hatte Ihre Mutter damals einen Partner?
Ja, meine Mutter hatte öfter einen Partner. Mit den meisten von denen habe ich mich allerdings nicht gut verstanden. Darüber möchte ich aber nicht reden.
Nachfrage:
Was heißt das, nicht gut verstanden? Kam es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen?
Ich hatte das Gefühl, manche waren der Meinung, mir würde ein Vater fehlen, und versuchten mich zu erziehen, aber ich sagte schon, darüber will ich nicht reden.
Das alles war vorbei, als meine Mutter am 01. 08. 80 gestorben ist.
Das SMS-Jingle auf dem Handy.
Hi, Konni, habe heute holländische Tankquittung gefunden, D. sagte, sie sei an dem Tag in D’dorf gewesen. Meld dich mal. Bruno.
Ach, Bruno, du arme Sau, willst du es nicht merken? Hat sie dir ihre Unterwäsche übers Geweih gehängt, vor die Augen. Deine Herzallerliebste vögelt fremd. Heute Abend mal anrufen, vielleicht.
Danach kam ich in die Obhut des Jugendamtes der Stadt Nürnberg, weil wir keine Verwandten hatten und auch sonst niemand da war, bei dem ich hätte leben können. In einer solchen Gruppe lebe ich auch jetzt noch. Ich habe über die Jahre zweimal aus organisatorischen Gründen die Gruppe gewechselt, und ich war jetzt dabei, mir mit Hilfe des Michael, das ist einer unserer Betreuer, eine eigene Wohnung zu suchen. Wir leben mit zwei Sozialarbeitern in einer Wohngruppe zu acht. Zu den anderen Bewohnern habe ich kaum Kontakte, auch früher nicht, die über das alltägliche, also zusammen essen usw., hinausgehen. Die Mitbewohner wechseln auch öfter mal, und meistens kann ich mit denen nicht viel anfangen.
Auf dem Gymnasium hatte ich nach dem Tod meiner Mutter ein sehr schlechtes Jahr und mußte wiederholen. Da auch im nächsten Jahr meine Leistungen nicht viel besser wurden, habe ich im Jahr 82 die Schule zum Halbjahr verlassen und bin zur Realschule gewechselt.
Die E-Mails. Nichts aus Weiden, nichts aus Nürnberg. Leute, Leute.
Dort habe ich letztes Jahr meinen Abschluß gemacht und dann bei der Firma Grabenkamp und Söhne eine Kaufmannslehre begonnen.
Die Tür geht auf, Sonja.
»War gar nicht so schwer, die meisten Dienststellen haben Online-Zugriff auf die EMA-Daten.« Sie legt ein DIN-A4-Blatt quer auf den Tisch, ein Zeitstrahl, wie vom Zeichenbrett, die einzelnen Daten in Schwarz in Kästchen.
»Alle Stationen habe ich wahrscheinlich nicht, wobei wir auch berücksichtigen müssen, dass er sich vielleicht nicht immer amtlich gemeldet hat, die Wohnungen fallen natürlich raus. Trotzdem schon einige Stationen. Ich fang mal hinten an.«
Weitere Kostenlose Bücher