Blutspiele
stillen. Das Blut, das in ihr floss, war bestimmt kraftvoll und voller Leben. So etwas sah er auf den ersten Blick …
Du hast mir nicht genügt, Nancy Jo. Aber das Blut, das du mir gegeben hast, verleiht mir die Kraft, mir zu nehmen, was ich brauche.
So läuft das Spiel.
Geschenk zu Geschenk.
Erst kurz vor sieben kam Joe an diesem Abend nach Hause. Es regnete noch immer, und nachdem er aus dem Auto gestiegen und die Verandatreppe hinaufgerannt war, liefen ihm Regentropfen übers Gesicht.
Eve erwartete ihn an der Tür mit einem Handtuch. »Das ist ein richtiger Wolkenbruch! Man sieht kaum etwas. Ich hoffe, es hat aufgehört, bis Jane das Restaurant verlässt.«
»Du hättest sie nicht gehen lassen sollen.« Er trocknete sich das Gesicht und die Haare ab und warf dann das Handtuch auf die Arbeitsplatte in der Küche. »Der Regen könnte das Geringste ihrer Probleme sein.«
»Ich kann sie nicht einsperren.« Eve wandte sich wieder zum Herd. »Das weißt du doch, Joe. Wir können nur dafür sorgen, dass sie so sicher wie möglich ist. Der Polizist, der ihr nachfährt, hat mich vom Restaurant aus angerufen. Bisher ist alles in Ordnung.« Sie schaltete den Slow Cooker aus. »Ich habe mexikanischen Eintopf gekocht. Er ist scharf genug, um die Kälte zu vertreiben.« Sie verzog das Gesicht. »Und das ist in mehr als einer Hinsicht eine gute Sache.«
»Ja.« Er warf einen Blick auf den kleinen Schädel, der in der Arbeitsecke auf der anderen Seite des Raums auf einem Sockel stand. Vor den Hightech-Kameras und -Monitoren von Eves Labor sah er sehr zart aus. »Du arbeitest wieder? Wer hat dir den Schädel geschickt?«
»Deine Chefin. Er kam vor etwa einer Stunde. Das ist eins der Kinder von der Insel. Ein kleiner Junge. Eigentlich sollte man denken, sie müssten ihn identifizieren können, nachdem in den letzten Tagen so viel darüber durch die Medien gegangen ist.«
»Die meisten der Morde sind schon vor langer Zeit geschehen. Wie nennst du ihn?«
»Matt.« Sie gab dem Schädel, an dem sie gerade arbeitete, immer einen Namen. Dadurch wurde die Arbeit weniger unpersönlich, sie brauchte den Bezug zu dem Menschen. Diese ermordeten Kinder, die einfach in der Erde vergraben worden waren, erfüllten sie mit unendlicher Traurigkeit. Die Schädel, die man ihr schickte, stammten von Kindern, über die bei der Polizei gar nichts vorlag. Es war jedoch irgendein Ansatzpunkt vonnöten, ehe man mit DNS-Tests und mit dem Abgleichen beginnen konnte. Ihre Aufgabe war es, aufgrund des Schädels ein möglichst ähnliches Gesicht zu erstellen, das dann fotografiert, in den Medien veröffentlicht und hoffentlich von Freunden oder Verwandten erkannt wurde. Sie holte zwei Schüsseln aus dem Küchenschrank. »Ob lange her oder nicht, ich hätte ständig angerufen, wenn ich wüsste, dass in diesen Gräbern noch nicht identifizierte Leichen liegen.«
»Nicht jeder ist wie du, Eve. Manchen Leute gelingt es, ihr Leben weiterzuführen.«
»Ich weiß. Das freut mich für sie.« Sie zuckte die Achseln. »Wenn ich mit Matt fertig bin, werden sie sich vielleicht nicht einmal bedanken, dass ich die Erinnerungen wieder aufwühle.«
»Sie werden sich bestimmt bedanken. Es ist ein Geschenk, so etwas abschließen zu können.« Er setzte sich an den Tisch. »Ich wünschte, ich könnte es dir überreichen.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Ich habe heute Montalvo angerufen.«
»Ich weiß. Er hat sich bei mir gemeldet und mir davon erzählt.«
»Das dachte ich mir schon.«
Sie warf ihm einen langen Blick zu. »Du bist gar nicht verärgert darüber.«
»Ich lasse nicht zu, dass ich mich darüber ärgere. Das kann ich mir nicht leisten, genauso wenig wie Eifersucht. Du und ich, wir sind doch längst über diesen Punkt hinaus, oder?«
»Vermutlich.« Aber seine kühle Einschätzung und Erläuterung der Situation erinnerte in keiner Weise an den aufgewühlten Mann, der er noch vor kurzem gewesen war. Das beunruhigte sie. »Er hat gesagt, du wärst einverstanden, ihm alles weiterzugeben, was du über Jelak herausfindest.«
»Das werde ich tun.« Er griff nach dem Löffel. »Ich habe den Sheriff in Bloomburg gebeten, ins Sportstudio zu gehen und sich Jelak beschreiben zu lassen. Fast ein Meter achtzig groß, römische Nase, dunkle Haare mit weißen Koteletten, sehr muskulös.«
»Nancy Jo«, flüsterte Eve.
»Ja, er passt auf ihre Beschreibung. Wir haben da einen sehr aufmerksamen Geist.« Er senkte den Blick. »Du hast mich einen Fels genannt.
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