Blutspiele
sie ihn ansah. »Nur du, Joe.«
»Was?«
»Für einen Mann, der so sagenhaft sauer war über das, was da mit ihm geschah, hast du einen unglaublichen Sprung gemacht. Jetzt willst du ihre Rechte sogar vor dir schützen. Vermutlich hätte ich das erwarten sollen. So bist du eben und so handelst du.« Sie küsste ihn zärtlich. »Von dem Moment an, als du mich kennengelernt hast, hast du mich beschützt.«
»Ich hatte gar keine andere Wahl. Von Beginn an wusste ich, dass ich mich selbst schütze, wenn ich mich um dich kümmere.« Er zog sie zu sich heran und schmiegte sich an sie. »Und du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht versuchen würdest, der Sache auf die Spur zu kommen und es allen Beteiligten zu erleichtern, wenn du selbst in so einer Situation stecken würdest.«
Bonnie.
Wenn Eve akzeptiert hätte, dass Bonnie ein Geist war, anstatt sich einzureden, sie sei eine Halluzination oder ein Traum, hätte sie dann der Seele ihres kleinen Mädchens Ruhe geschenkt? Der Gedanke tat unerträglich weh. Joe forschte, bemühte sich darum, Antworten zu finden und für Nancy Jo alles zu regeln. In all diesen Jahren hatte Eve von Bonnie immer nur Trost, Liebe und Kraft zum Überleben angenommen. Sie hatte geglaubt, es wäre richtig, sie nach Hause zu bringen, aber was, wenn das gar nicht stimmte? Wenn sie Bonnie das, was sie brauchte, noch auf andere Weise geben konnte? Vielleicht hatte ihr die Lösung immer klar vor Augen gestanden, und sie hatte sie einfach nicht erkennen wollen? Joe übersah nichts, er forschte und fragte. »Du bist ein besserer Mensch als ich, Joe. Ich glaube, ich neige dazu, mich vor so unangenehmen Wahrheiten zu verstecken. Mach einfach weiter, wie du denkst, das stimmt schon. Bei dir und allen, die dir nahestehen, hat das immer funktioniert.«
»Das sagt sich so leicht. Aber in diesem Fall könnten die Regeln anders sein.« Er schwieg nachdenklich. »Und ich darf jetzt keine Fehler machen. Er ist schon zu nah.« Er drehte sich im Bett um. »Schlaf jetzt. Es führt zu nichts, wenn du wach liegst und mir zuhörst, wie ich über diese ganze Angelegenheit nachgrüble.«
»Doch, führt es schon«, sagte sie. »Ich stelle dabei fest, was für ein feiner Mann du bist, Joe. Das wusste ich schon immer, aber eine Bestätigung kann ja nicht schaden.«
»Du hast einen Geist gebraucht, um herauszufinden, was für einen großartigen Charakter ich habe?«
»Nein, es war dein Umgang mit dieser Situation.« Sie drückte ihre Lippen auf seine Schulter. »Und die Erkenntnis, dass ich noch immer von dir lerne. Gute Nacht, Joe.«
Er antwortete nicht. Seine Hand strich sanft über ihr Haar, und er starrte weiter in die Dunkelheit.
Ihr wurde klar, dass er nachdachte. Versuchte, das Rätsel zu lösen. Versuchte, dafür zu sorgen, dass alles ein gutes Ende nahm.
Genau wie er es für sie getan hatte, vor so vielen Jahren, als sie auf dem Weg war in eine Depression, aus der es aller Wahrscheinlichkeit nach keine Rückkehr mehr gab.
Aber es hatte eine Rückkehr gegeben, und sie hatte in jener Nacht begonnen, ein Jahr nachdem sie Bonnie verloren hatte. Sie lag schon im Bett, und Joe hatte sie auf ihrem Handy angerufen.
»Mir geht es gut, Joe. Es ist nur eine leichte Erkältung. «
»Eine leichte Erkältung, die jetzt schon über einen Monat anhält« , sagte Joe grimmig. »Kein Wunder, Sie essen ja praktisch gar nichts mehr. In den letzten Wochen müssen Sie an die zehn Pfund verloren haben. «
»Sie übertreiben. Es sind nicht mehr als ein paar Pfund. « Wenn er nur auflegen würde! Sie war so müde. Alles, was sie wollte, war die Augen zumachen und schlafen. Sie wusste, dass Joe es gut meinte, aber er ließ sie nicht in Ruhe. Er drängte sie zum Essen, zum Ausruhen, dazu, nicht mehr so verbissen zu arbeiten, auch wenn Arbeit, jede Arbeit, ihre Tage füllte und sie bei geistiger Gesundheit hielt.
»Wenn es Ihnen morgen nicht besser geht, bringe ich Sie zum Arzt. «
»Nein, es ist nur eine Erkältung, Joe. « Sie schwieg. Dann fragte sie: »Irgendwelche Neuigkeiten?«
»Glauben Sie, ich hätte Ihnen nicht gleich davon erzählt? Keine Neuigkeiten. Wir haben sie nicht gefunden. «
Ja, sie hätte diese Frage nicht stellen sollen. Sie wusste, wie sehr sie Joe damit weh tat. Und doch musste sie jedes Mal fragen. Diese Frage beherrschte jeden wachen Moment ihres Lebens, seitdem ihr Bonnie vor über einem Jahr geraubt worden war. »Es tut mir leid. Ich glaube ja auch nicht daran, dass sie noch am Leben ist
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