Blutspur
er war trügerisch. Ein Rabe krächzte irgendwo über mir, Steine schnitten in mein Fleisch, es tat nur nicht weh. Meine Sinne waren auf einen möglichen Angriff ausgerichtet, auf einen Hinterhalt, in den ich womöglich tappen konnte, und ich hoffte, all dem zuvorzukommen und das Richtige zu tun. So musste sich Brandon ständig in seinem Dasein gefühlt haben.
Tue ich das, was für mein Volk am besten ist, oder bin ich dabei, noch mehr Schaden anzurichten? Bei der Anarchie, die sich gerade über der Stadt ausbreitete, ohne Rücksicht auf Verluste, war es mir schlichtweg egal. Noch schlimmer konnte es nicht kommen. Oder etwa doch?
Ich las Namen auf den Grabsteinen, schaute mir die reich geschmückten Gräber im Vorbeigehen an. So viele waren gefallen, um das Böse abzuwenden, es einzudämmen, doch sie waren gescheitert.
Ein Kirchturm ragte hoch über den kahlen Zweigen auf. Vereinzelt standen Tannen an den Wegen, deren Zweige Raureif wie silbrige Watte bedeckte. Die dunklen Steine der Kirche setzten sich kaum in der Finsternis ab, sie verschmolz mit ihren Schatten. Der gotische Stil verlieh dem Gebäude etwas Mysteriöses. Mich hatte schon immer diese Bauweise mit den Spitzbögen an den hohen Fenstern fasziniert und wie der Innenraum durch die bunten Glasscheiben durchflutet wurde. Die Laternen spenden ein wenig Licht, beleuchteten notdürftig die Wege, die vom Regen durchweicht waren.
Sehen konnte ich aber besser denn je.
Ich besann mich auf mein Vorhaben, löste mich auf, versteckte mich hinter einer Tanne, die genügend Schutz bot und wartete. Hoffentlich hatten die Dunklen mich nicht aus den Augen verloren, dachte ich panisch, aber da wehte schon ein unangenehmer Gestank zu mir herüber. Sie waren da. Ich hörte sie durch das Unterholz brechen, sie gaben sich keine Mühe, leise zu sein. Ich hatte Recht behalten: Sie konnten diesen heiligen Ort meines Volkes betreten - nichts blieb ihnen mehr versagt oder verboten. Ein Alptraum.
Frederick hatte sich vor dem Kircheneingang platziert und rieb sich die Hände.
„ Ich habe mich extra wegen dir von einem sogenannten Reinen beißen lassen, Virginia, und dann wieder von einem Dunklen. Es ist einfach ekelhaft, auch nur ein Milligramm dessen in sich zu tragen, was ein Reiner in sich hat. Davon abgesehen habe ich nie verstanden, was genau an euch so rein sein soll. Der nicht zu verachtende Vorteil ist, dass ich noch stärker bin. Was ich sonst noch kann, werde ich gleich herausfinden. Aber es wirkt. Wir können diese angeblich heilige Stätte betreten, alles kehrt sich um.“ Zufrieden lächelte er seine Krieger an.
Wo waren Brandon und Will? Hatten die beiden überlebt? Mein Herz wurde schwer, als ich daran dachte, dass ich Brandon niemals wiedersehen könnte, aber ich musste jetzt durchhalten und stark sein. Er war clever und musste einfach überlebt haben. Was war mit Maggie und Alexio? Ich wünschte, dass ich als Mensch auch so positiv eingestellt gewesen wäre. Wahrscheinlich war dies nun der Fall, weil ich übermenschlich war und ich auch die innere Macht fühlte, die ausbrechen wollte.
„ Du hast uns hierher geführt, das muss einen Grund haben. Wenn das eine Falle ist, wirst du in sie tappen, meine Liebe“, sprach er laut weiter, sodass seine Stimme rau über die Gräber wehte. Wo blieben die anderen? Aber nun war es zu spät, um den Schwanz einzuziehen. Ich atmete tief durch, sog die kühle Nachtluft in meine Lungen und gab mich zu erkennen.
„ Ah! Da ist sie ja!“, rief Frederick erfreut und klatschte in die Hände.
Ich hielt mich abseits und sondierte die Lage. Noch war niemand hinter oder neben mir, doch das konnte sich schnell ändern. Durch den Übergang der jeweiligen Eigenschaft musste ich mit allem rechnen.
„ Kampflos werde ich mich nicht ergeben“, forderte ich Frederick heraus.
Ich zählte an die fünfzig Dunkle, die verteilt auf den Friedhofswiesen lauerten. Sie würden leichtes Spiel haben, wenn mir nicht gleich etwas Gutes einfiel.
„ Ich hörte von Darius, dass du geübt mit dem Schwert sein sollst, also beweise es.“
Frederick schürzte seine dünnen Lippen. „Es gleicht einer Beleidigung, dass Darius über mich spricht. Es steht ihm nicht zu. Dennoch werde ich gern gegen dich antreten. Gebt uns Schwerter!“
Ein Dunkler warf Frederick ein Schwert zu, das er am Griff gekonnt auffing, meines landete vor meinen Füßen auf dem Boden.
„ Nun denn“, feuerte sich Frederick
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