Blutspuren
für Pößneck zuständigen Bezirksbehörde in Gera teilt man umgehend Vašiks Verhaftung mit und es werden seine Vorstrafenakten erbeten. Vietzke und Striebl nehmen die geordnete Auflösung der Einsatzgruppe unter ihre Regie. Einige Männer müssen noch bleiben, denn noch ist ein gehöriges Pensum an Nacharbeiten zu bewältigen. Andere werden nach Pößneck entsandt, um die Wohnung Vašiks zu durchsuchen. Die nächsten Stunden vergehen mit Lagebesprechung, Papierkram und Vernehmungsvorbereitung. Bürokratische, aber prozeßrechtlich notwendige, Formalitäten und erkennungsdienstliche Routinemaßnahmen folgen.
Die erste große Beschuldigtenvernehmung soll am späten Abend durchgeführt werden. Sie dauert bis weit nach Mitternacht an und führt zu einem Erfolg. Vašik gesteht nämlich nach einigem Zögern alle Einzelheiten des Mordes, spricht über Beweggründe und bekennt sich ohne Vorbehalte dazu, was er sonst noch auf dem Kerbholz hat. Dabei betont er aber immer wieder, für ein Leben in Freiheit nicht geschaffen zu sein und sich nur im Knast gut aufgehoben zu wissen. Überhaupt: Daß er nun eine lebenslange Haftstrafe zu erwarten hat, kann ihn offensichtlich nicht erschüttern.
Hermann Vašik, der nach dem Krieg mit der Familie aus seiner tschechischen Heimatstadt umgesiedelt wurde, blieb eine glückliche Kindheit versagt: Er und seine zehn Geschwister entbehrten, was andere Kinder an Unbeschwertheit besaßen. Die familiären Bedingungen, unter denen er aufwuchs, waren kompliziert und bedrückend. Der Vater, Buchschneider mit geringem Einkommen, ein einfacher, grobgeschnitzter Mann, kümmerte sich lediglich um den spärlichen Unterhalt. Die Mutter, herzleidend, nicht belastbar, war der Erziehungssituation völlig hilflos ausgeliefert. Chaos, Unbekümmertheit und Gleichgültigkeit prägten so die familiäre Szenerie. Auch die Wohnverhältnisse der Großfamilie, eine triste Baracke in der Kreisstadt Pößneck, waren erschreckend und erweckten beizeiten die Aufmerksamkeit der Behörden. Als im Jahre 1956 die Mutter starb, verschärfte sich die Lage. Nun lag die Obhut über die elfköpfige Kinderschar allein in den Händen des Vaters. Einige Geschwister wurden auf staatliche Veranlassung in Kinderheimen untergebracht. Die anderen waren sich meist selbst überlassen. So auch Hermann. Trotz intakter Intelligenz kam es bei ihm mit der Zeit zu erheblichen sozialen Deformationen. Bereits im zarten Alter von zehn Jahren begann er, mit seinen Geschwistern Diebstähle zu begehen, perfektionierte im Laufe der Zeit seine Technik und wurde dabei immer tollkühner.
Den Anforderungen der Schule war er nicht gewachsen, sie ließen ihn gleichgültig, Lernen wurde zur lästigen Nebensache. Seine Leistungen blieben deshalb immer weit unter dem Durchschnitt. Laufend störte er den Unterricht, war unkonzentriert, schwänzte, stahl. Mehrmals blieb er sitzen, bis er auf Drängen der Lehrer mit zehn Jahren in eine Sonderschule eingewiesen wurde, die er bereits nach der sechsten Klasse verließ.
Mißmutig begann Hermann Vašik nun eine Lehre als Dachdecker. Doch schon nach wenigen Wochen brach er sie ab, verdingte sich fortan nur noch als Gelegenheitsarbeiter.
Unbeständigkeit, Kontaktarmut und Unfähigkeit zu sozialer Bindung waren seine ausgeprägtesten Eigenschaften. Auf diese Weise entwickelte er sich frühzeitig zu einem ruhelosen Einzelgänger.
Dies alles hatte unmerkbar die Beschädigung seiner Seele zur Folge, bildete den Nährboden für seine weitere kriminelle Karriere und läßt vermuten, daß sie zeitlebens nicht ausheilen wird.
Mit 16 Jahren stand er das erste Mal vor den Schranken des Gerichts. Ein Einbruch in die Gaststätte eines Sportvereins brachte ihm auf Anhieb gleich zwei Jahre Aufenthalt hinter schwedischen Gardinen ein. Jedoch: Widersinnigerweise empfand er die harten Strafvollzugbedingungen als nicht sonderlich belastend. Ja, sie vermittelten ihm sogar das Gefühl einer gewissen Geborgenheit. Bereits die erste Bekanntschaft mit dem Gefängnis prägte seine ohnehin schon verrohte Natur zusätzlich: Auch künftig litt er niemals richtig darunter, wenn sich die Gefängnistore immer wieder hinter ihm schlossen. Diese schädlichen Bedingungen erschwerten eine erfolgreiche Resozialisierung gewaltig. Und es zeigte sich: Jeder Haftentlassung folgte nur ein kurzer Aufenthalt in Freiheit, so daß sein Strafregister beachtliche Ausmaße annahm. Im Alter von 31 Jahren konnte er bereits acht Vorstrafen mit Freiheitsentzug,
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