Blutspuren
»Wenn du zu den Bullen gehst, bring ich dich um!«
Innerlich kochend kehrt Stutzbach kurz vor Mitternacht heim. Jetzt befindet er sich in der verhängnisvollen inneren Verfassung, die nötig ist, um seinen lang gehegten Plan zu verwirklichen. Der Gedanke an die Tötung seiner Frau hat ihn fest im Griff. Als er ein Brotmesser in die Jackentasche gesteckt hat und gehen will, kommt ihm eine neue entsetzliche Idee: Ich töte erst Hannelore Schneider, sie ist ein geeignetes Testobjekt, lebt allein und wohnt nur einige Häuser weiter. Wenige Minuten später klingelt er an ihrer Wohnungstür. Schlaftrunken öffnet sie ihm. Er schwindelt, sich mit seiner Mutter überworfen zu haben, und bittet um ein Nachtlager. Hannelore Schneider zeigt Verständnis für seine vermeintlich mißliche Lage und bietet ihm einen Platz in ihrem Bett an. Beide rauchen noch friedlich eine Zigarette, dann schlüpfen sie unter eine gemeinsame Decke. Henry Stutzbach kommt nun schnell zur Sache: Er stürzt sich auf sie, umschließt mit seinen kräftigen Händen ihren Hals und drückt zu, bis sie keine Regung mehr zeigt. Sodann holt er das Brotmesser aus der Jacke, sticht mehrmals in das Herz der Leblosen, schlitzt ihr die Kehle auf und führt nach seiner Art eine Sektion durch. In dieser Stunde hat er keine Empfindungen, eine extreme Kaltblütigkeit beherrscht ihn. Das Opfer ist ihm völlig gleichgültig, es ist eine Sache, zu der man kein Gefühl entwickeln kann. Nach vollbrachter Tat raucht er seelenruhig eine Zigarette, reinigt das Messer vom Blut und durchsucht die fremde Wohnung. Dabei entdeckt er ein volles Päckchen mit dem starken Schlafmittel »Kalypnon«, steckt es ein und schleicht sich davon.
Als dieser Mord in der späteren polizeilichen Vernehmung Gegenstand der Unterhaltung ist, sagt er dazu: »… Mit der Tötung der Frau Schneider habe ich eine Probe abgelegt und konnte keine ernsthafte Erregung bei mir feststellen. Ich war unnatürlich ruhig. Das kam mir natürlich sehr entgegen für die Absicht, meine Frau zu töten. Nun hatte es für mich nichts besonderes bedeutet, eine für mich uninteressante Frau zu töten, aber in bezug auf meine Frau war es so: Ich habe sie über alles geliebt. Nur war ich mir immer noch nicht sicher, ob es bei meiner Frau auch so glatt gehen würde …«
Die Bedeutung des letzten Satzes wird klar, wenn man die folgenden Ereignisse kennt: Es ist weit nach Mitternacht. Als Henry Stutzbach das Haus verläßt, steckt das Brotmesser wieder in seiner Jackentasche. Jetzt fühlt er sich gut, ausgeglichen, fast wie ein neuer Mensch. Der Mord und die anschließende Sektion haben ihn innerlich befriedigt, und er ist überrascht, wie ruhig er dabei war. Erregung, Mitleid, Angst? Nein, nichts davon hat er verspürt. Im Gegenteil: Nun durchdringt ihn sogar ein ungewohntes Gefühl von Größe, eine selbstgestellte Mission erfüllt zu haben, vor deren Bewältigung er nicht einzuschätzen vermochte, wie er sie psychisch verkraftet. Augenblicklich beschäftigt ihn nur, ob er sich bei der Tötung seiner Frau ebenso in der Gewalt haben wird. Immerhin will er dieses Geschehen zu einem wahrhaften Höhepunkt gestalten, der ihn für alle vermeintlichen Frustrationen entschädigen soll. Bei diesen Überlegungen fällt ihm ein, sich nochmals zu testen. Er will kontrollieren, ob er die Technik des mörderischen Vorgangs ebenso beherrscht wie sich selbst. Und Brigitte Köhler soll das nächste Versuchsobjekt sein.
Sogleich führt ihn sein Weg in die Treptower Kiefholzstraße. Kurz nach 1.30 Uhr läutet er an Brigitte Köhlers Wohnungstür. Mißtrauisch beäugt sie ihn durch den Türschlitz und will wissen, was er mitten in der Nacht will. Henry Stutzbach bittet mit wehleidiger Miene um ein Nachtquartier und offeriert auch Brigitte Köhler die melodramatische Mär von der Mutter, mit der er sich überworfen habe, und die ihm nun den Zutritt zu ihrer Wohnung verwehre. Sie hat ein Einsehen mit der vermeintlich vertrackten Lage ihres Exliebhabers und läßt ihn ein. Diese Arglosigkeit wird ihr Verhängnis. Eilig richtet ihm Brigitte Köhler auf der Wohnzimmercouch das Bett, während er sich entkleidet. Dabei stellt er mit Erschrecken fest, daß sein Unterhemd mit Blut beschmutzt ist. Doch es gelingt ihm, das Verdacht erweckende Wäschestück unbemerkt unter seinen abgelegten Sachen verschwinden zu lassen. Schließlich ist er nur noch mit seiner Unterhose bekleidet. Stutzbach kramt eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hose, reicht sie
Weitere Kostenlose Bücher