Blutspuren
Erziehungsschwierigkeiten auffällig: Tobsuchtsanfälle beherrschen ihn, er opponiert gegen die Lehrer, seine Unlust auf die Schule zieht schlechte Leistungen nach sich, Mißerfolge führen dazu, daß er viele Unterrichtsstunden schwänzt. Er ist schüchtern, verträgt sich mit den Schulkameraden nicht, kann keine Freundschaft entwickeln, bleibt ein kontaktarmer Einzelgänger, wird sogar zum willfährigen Objekt mancher Klassenkeile. Er ist ängstlich und durchsetzungsschwach. Nach der Grundschule beginnt er eine Lehre als Bauschlosser. Da seine Ausdauer aber nur ein halbes Jahr anhält, wird die Lehre kurzerhand abgebrochen. Henry ist zu dieser Zeit zwar erst 15 Jahre alt, aber dem erzieherischen Einfluß seiner Mutter hat er sich längst entzogen. Wegen einer Netzhautablösung muß er sich einer Augenoperation unterziehen und von nun an eine Brille mit dunkel getönten Gläsern tragen. Die Gleichaltrigen hänseln ihn deshalb, manchmal verprügeln sie ihn auch grundlos. Eine Zeitlang verdient er seinen Lebensunterhalt mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten. Dann faßt er den Entschluß, sich in einem Boxverein körperlich zu ertüchtigen, um sich gegen die Attacken seiner Kameraden zur Wehr setzen zu können. Es dauert auch gar nicht lange, und er kann die erworbenen Sparringfähigkeiten außerhalb des Rings an körperlich unterlegenen Jugendlichen erfolgreich erproben und demonstrieren. Bereits mit 17 Jahren ist er ein gefürchteter Schläger, den Rücksichtslosigkeit und immense Schlagkraft kennzeichnen. Wenn ihn die Wut packt, zittert er am ganzen Körper, sein Gesicht wird weiß wie eine Kalkwand und die Lippen verfärben sich bläulich. Dann dauert es nur noch einige Sekunden und die Aggression bricht durch. Insbesondere wenn er Alkohol getrunken hat, neigt er zu solchen Wutausbrüchen. Körperverletzungen und Sachbeschädigungen sind die Folge.
Eine besondere Faszination üben Messer und Dolche auf ihn aus. Er legt eine Sammlung von Schneidwerkzeugen unterschiedlicher Klingenlänge an, die in wenigen Jahren zu einem stattlichen Arsenal anwächst. Das Interesse an Messern und Dolchen wird er zeitlebens nicht mehr verlieren.
Einige Male zieht es ihn aus der vermeintlichen Eintönigkeit und Enge des Arbeiter- und Bauernstaates in den Westen, dort kann er aber keinen Fuß fassen. Deshalb kommt er immer wieder nach Ostberlin zurück. Henry lernt die gleichaltrige Karin Holzmann kennen, die bald darauf ein Kind von ihm erwartet. Kurzerhand verloben sich die beiden. Doch schnell wird klar, daß Gewalttätigkeiten seine größte Aussteuer zu sein scheinen. Nach wenigen Monaten wird die Verlobung gelöst. Er hadert mit dem Schicksal und geht erneut in den Westen. Kurz vor dem Mauerbau kehrt er in die DDR zurück und erweicht das Herz seiner Exverlobten Karin, ihn wieder bei sich aufzunehmen. Inzwischen ist aus ihm ein affektlabiler Muskelprotz geworden, der stolz darauf ist, nach 20 Glas Bier und entsprechenden Schnäpsen angeblich immer noch keine Anzeichen von Trunkenheit zu zeigen.
Henry erhält eine Anstellung zunächst als Laborhelfer, später als Sektionsgehilfe im Pathologischen Institut der Charité. Er zeigt Interesse an dieser Arbeit, ist fleißig und bildet sich weiter. Die Tätigkeit im Sektionssaal verleitet ihn, Skalpelle verschiedener Größe für sich abzuzweigen, um seine heimliche Messersammlung zu vervollständigen. Den Diebstahl bemerkt niemand, allerdings muß er für ein halbes Jahr auf ein Leben in Freiheit verzichten, nachdem er eine Nachbarin seiner Mutter bestohlen hat.
Dennoch darf er danach als Sektionsgehilfe weiterarbeiten. Schon ein Jahr später verprügelt Henry zwei Polizisten einer Funkstreife. Karin hatte sie herbeigerufen, weil er in einem Wutanfall nicht nur Teile der Wohnungseinrichtung unsanft zerlegt, sondern sie zur Zielscheibe von Messerwurfübungen gemacht hat. Der Widerstand gegen die Staatsgewalt bringt ihm vier Monate Gefängnis ein.
Im Jahre 1962 ist Karin erneut schwanger, Grund genug, nun endlich mit Henry Stutzbach die Ehe einzugehen. Weitere Monate vergehen. Nach wie vor bestimmen seine explosionsartigen Gewaltakte das Zusammenleben, und zu den Kindern kann er keine emotionale Bindung finden. Karin, die sich längst von ihm trennen will, bringt jedoch keinen Mut für diesen Schritt auf. Nach einem ausgedehnten Kneipenbesuch verprügelt Henry in aller Öffentlickeit zwei Passanten, die ihn anmurren, weil er sie unsanft angerempelt hat. Auch ein zu Hilfe eilender
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