Blutspuren
damit, vorher noch aufräumen zu wollen, weil sie angeblich Besuch von einer Bekannten erwarte. Außerdem möchte sie die Kinder für diese Zeit auf den Spielplatz schicken. Auf diese Weise gelingt es, den Ehemann eine Zeitlang hinzuhalten und die Kinder heimlich zu beauftragen, die Polizei alarmieren zu lassen. Doch in der für sie unendlich langen Zeit, bis die VP-Funkstreife erscheint, ist sie dem grauenhaften Geschehen hilflos ausgeliefert.
Stutzbach verliert plötzlich die Geduld. Er verschließt das Wohnzimmer, läßt den Schlüssel in der Hosentasche verschwinden und geht mit drohender Gebärde auf Karin zu. Sie stürzt zur Tür, reißt an der Klinke, schreit laut um Hilfe. Mit roher Gewalt vereitelt er ihre Fluchtbemühungen. Zwischen beiden entsteht ein heftiges Handgemenge. Möbel fallen um, Porzellan geht zu Bruch. Der Konflikt schaukelt sich hoch. Stutzbach fällt über seine Frau her, würgt sie, bis die Sinne schwinden, reißt ihr die Kleider vom Leib. In Ermangelung des Brotmessers nimmt er jetzt sein altes Taschenmesser, das er üblicherweise bei sich hat, und versetzt ihr mehrere Herzstiche. Mit großem Kraftaufwand schneidet er ihre Kehle durch. Aus den Halsschlagadern schießt das Blut. Das bringt ihn in heftigste Erregung. Nichts ist mehr geblieben von der inneren Gelassenheit, die er während der anderen Morde verspürte. Jetzt handelt er wie im Wahn. Er kniet nieder, senkt sein Gesicht auf die klaffende Halswunde seiner Frau und schlürft mit gierigen Zügen das herausquellende warme Blut. »Ich wollte noch etwas von ihr in mir haben«, rechtfertigt er später sein Verhalten.
Henry Stutzbach nimmt das laute Klopfen an der Wohnzimmertür nicht wahr. Er hört auch die resolute Stimme des Wachtmeisters nicht, der ihn auffordert, die Tür zu öffnen. Als er das Blut seiner Frau zwischen den Lippen spürt, gerät er in einen minutenlangen Rauschzustand, der ihn für andere Umweltreize unempfindlich macht. Seine Gefühlswelt ist nun vollends aus den Fugen geraten. Jetzt hat er das »beseligende Glücksgefühl« erreicht, von dem er in letzter Zeit geträumt hat.
Sein letzter Wunsch, den Kopf seiner Frau vom Rumpf zu trennen, geht nicht in Erfüllung. Das Vorhaben scheitert nicht nur am ungeeigneten Werkzeug. Auch die ungeheure Anspannung, die seine Kräfte aufgezehrt hat, trägt dazu bei. Völlig erschöpft zündet er sich eine Zigarette an. Nun hat er keinen Mut mehr, sich selbst zu vernichten. Mit einem Mal wird ihm klar, daß draußen vor dem Wohnzimmer Polizisten stehen. Wie in Trance öffnet er ihnen die Tür …
Kurz vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens wird Henry Stutzbach für mehr als acht Wochen ins Haftkrankenhaus für Psychiatrie Waldheim eingewiesen. Grund: Ein forensisches Gutachten soll klären, ob er zur Tatzeit der drei Morde die Fähigkeit besaß, sich nach den elementaren Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu richten, andere Menschen nicht zu töten. Gleichzeitig soll es Aufschluß geben, ob diese Fähigkeit womöglich durch Geistes- bzw. Bewußtseinsstörung oder durch krankheitswertige Persönlichkeitsentwicklung vermindert oder gar ausgeschlossen war.
Stutzbachs Krankenakten über die früheren Suizidversuche werden ausgewertet. Ihn erwarten die üblichen diagnostischen Verfahren. Widerwillig läßt er diverse Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen des Schädels, elektroenzephalografische Untersuchungen und lange Explorationen zur Erhebung seines psychischen Status’ über sich ergehen. Seine Stimmung wechselt häufig, mal ist er aufmerksam den Gesprächen zugewandt, mal hüllt er sich in Schweigen, wirkt trotzig und aggressiv. Eine suizidale Gefährdung kann weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Im großen und ganzen aber duldet er das analytische Procedere der Seelenärzte. Organisch ist er rundweg kerngesund. Weder eine akute noch eine früher abgelaufene Hirnerkrankung kann festgestellt werden. Anders ist die Anatomie seiner Seele: Sie wird von einer abnormen Wesensart bestimmt. Die ungestüme Aggressivität, seine Unbeherrschtheit, Gefühlskälte und Verletzbarkeit sind deutliche Merkmale einer Psychopathie, die unter strafrechtlichem Aspekt allerdings bedeutungslos ist. Daß ihn die Tötung der beiden Geliebten absolut gleichgültig läßt, entspricht ebenso seinem auffälligen Charakterbild wie die freilich absonderlichen Regungen, die er verspürt, wenn er über die Tötung seiner Frau spricht: »Das war nicht nur Genugtuung, ich bin sogar glücklich
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