Blutstein
Haus. Gegen Mittag verließ Max das Haus, setzte sich in den Wagen und
fuhr weg. Aus der weiten Entfernung konnte sie nicht ausmachen, in welcher
Verfassung er war. Aber sein Herz schlug offensichtlich noch.
Doch Vendela ging nicht nach Hause, sie setzte sich auf Pers Veranda
in die Frühlingssonne, den Blick aufs glatte Meer gerichtet.
Nach gut einer Stunde nahm sie Motorengeräusche wahr, die drüben,
bei ihrem Haus verstummten. War Max schon zurückgekehrt? Möglicherweise, da
aber der Windschutz im Weg war, konnte sie es nicht sehen, und sie hatte auch
keine Lust, aufzustehen und es zu überprüfen.
Erst nachdem sie sich einen kleinen Salat zum Mittagessen zubereitet
und ihn in der Küche gegessen hatte, warf sie einen Blick aus dem Fenster.
Vor ihrem Haus stand kein Wagen. Wenn Max zwischenzeitlich
zurückgekommen war, hatte er das Grundstück bereits wieder verlassen.
Plötzlich klingelte das Telefon in der Küche, und Vendela zuckte
zusammen. Vielleicht war es Per, aber sie traute sich nicht, an den Apparat zu
gehen. Nach sechs Klingelzeichen schwieg das Telefon wieder.
Was hatte Max vor? Warum war er zurückgekommen und wieder
weggefahren?
Sie war so überrascht, dass er noch am Leben war. Aber
wahrscheinlich lag der Ehering noch unberührt am Elfenstein.
In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie ihrem Mann den Tod
gewünscht hatte. Letzte Nacht hatte sie am Elfenstein gestanden und die Elfen
darum gebeten, ihn zu töten .
Es war zwei Uhr nachmittags, als sie beschloss, nach Hause zu gehen.
Sie wollte mit Max sprechen oder zumindest nachsehen, was er in der
Zwischenzeit getan hatte.
Kein Hundegebell empfing sie, als sie die Tür aufschloss, alles war
so still. Aber Vendela bemerkte, dass es anders roch im Haus, ein betörender
Blumenduft strömte ihr entgegen. Und als sie das Wohnzimmer betrat, sah sie,
dass der Steinfußboden fast vollkommen mit Blumen aller Sorten bedeckt war:
große rote Rosensträuße, Tulpen und weiße Lilien, Frühlingsblumen aus der
Umgebung wie Leberblümchen und Sandthymian. Max schien alle Vasen hervorgeholt
zu haben, die sie im Haus hatten, und auch alle Becher und Gläser. Der dunkelgraue
Boden leuchtete in den Farben Rot, Gelb, Grün und Lila.
Vorsichtig ging Vendela durch den duftenden Raum. Nach ein paar
Minuten begann ihre Nase zu kitzeln, dann zu laufen. Die Allergie meldete sich,
und Max war schuld daran. In seiner unbeholfenen Art wollte er wegen Ally um
Entschuldigung bitten, aber die Blumen bewirkten nur, dass sie sich noch
schlechter fühlte als vorher, sowohl in der Nase als auch in der Seele. Das
Haus kam ihr vor wie eine Friedhofskapelle, nur die kleine Holzkiste fehlte.
Max, dachte Vendela, warum musst du immer alles so übertreiben?
Die Korrekturfahnen des Kochbuches lagen auf dem Küchentisch, aber
sie hatte kein Interesse daran.
Sie holte ihr Notizheft aus der Schublade und griff nach einem
Stift.
Für die Elfen
gibt es keine Zukunft, schrieb sie. Aber für uns auch nicht. Unser Zuhause, die Dinge, von
denen wir besessen sind, Sachen, dir wir unbedingt erreichen müssen. Ich verstehe
einfach nicht –
Sie konnte nicht weiterschreiben. Die Küchenuhr tickte.
Sie dachte an Max und dann an Per. Keinen von beiden konnte oder
wollte sie jetzt anrufen, aber da fiel ihr jemand anderer ein.
Es dauerte eine Weile, bis sie seine Nummer herausbekommen hatte,
nach fünf oder sechs Klingelzeichen aber hob er ab und meldete sich mit fester
Stimme:
»Adam Luft.«
»Hallo, hier ist Vendela.«
»Wer bitte?«
»Vendela Larsson ... ich habe damals deinen Kurs › In Kontakt mit den Elfen‹ besucht.«
»Ach so, den, ja«, sagte Adam Luft. »Das ist aber schon eine Weile
her, was?«
»Fünf Jahre«, antwortete Vendela. »Ich würde dich gerne eine Sache
dazu fragen.«
»Diesen Kurs biete ich schon lange nicht mehr an«, unterbrach sie
Adam Luft. »Es gab zu wenige Anmeldungen. Ich beschäftige mich jetzt mit
astraler Seelenwanderung.«
»Astraler ... wie bitte?«
»Du solltest das ausprobieren, das ist wahnsinnig spannend.« Seine
Stimme wurde tiefer und beschwörend. »Unser Ziel ist es, unsere Seele aus
unserem Körper zu befreien, um sie durch Zeit und Raum auf Reisen zu schicken.
Ich habe noch Plätze frei in einem der Sommerkurse, soll ich dich eintragen?«
»Nein, danke«, antwortete Vendela und legte auf.
Jetzt hatte sie niemanden mehr, mit dem sie hätte reden können, und
sie fühlte sich viel zu unruhig, um tatenlos im Haus zu bleiben.
Weitere Kostenlose Bücher