Blutstein
Tagebuch zuzuklappen und es
unter seiner Decke zu verstecken. Aber als das Gartentor geöffnet wurde und
dann der Volvo mit seinen Töchtern aufs Grundstück fuhr, saß er entspannt und
ruhig in seinem Gartenstuhl. Die Wagentüren wurden aufgerissen.
»Hallo, Opa! Wir sind da!«
»Willkommen!«, rief Gerlof zurück und winkte. »Frohe Ostern!«
Alle sprangen aus dem Wagen. Lena hatte ihre jüngste Tochter dabei
und Julia ihre beiden jüngsten Stiefsöhne, mit Taschen und Rucksäcken bestückt.
Die Familie war versammelt, die friedvolle Stille hatte ein Ende.
Die Enkelkinder umarmten ihren Großvater und zogen sofort weiter in die Küche,
wo sie den Fernseher oder das Radio anstellten. Was es auch war, sie drehten
die Lautstärke so auf, dass die Rockmusik aus den geöffneten Fenstern drang.
Gerlof musste an die Karfreitage seiner Kindheit denken.
»Wie geht es dir, Papa? Ist alles in Ordnung?«
Julia war auf ihn zugekommen. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Hier auf dem Grundstück ist alles in bester Ordnung«, antwortete
Gerlof. »In der ganzen Stadt ist es ruhig ... aber die neuen Hausbesitzer beim
Steinbruch sind jetzt eingezogen.«
»Und, sind sie nett?«
»Ja, ziemlich nett.« Er erinnerte sich an die Zeitschrift, die Jerry
Morner auf den Tisch geworfen hatte. »Und ziemlich originell.«
»Wollen wir vorbeigehen und uns vorstellen?«
»Nein, ich war gerade erst vorgestern bei ihnen. Das muss genügen.«
»Dann bleiben wir zu Ostern unter uns?«
Gerlof nickte. Er hatte zwar noch eine junge Verwandte, die in
Marnäs wohnte, Tilda, das Enkelkind seines Bruders. Aber sie hatte im
vergangenen Herbst einen Partner gefunden und war vollkommen von ihrem neuen
Leben absorbiert.
»Und was machst du sonst so?«, fragte Julia.
»Ich sitze hier und denke nach.«
»Und worüber?«
»Über nichts.«
Julia streckte ihm die Arme entgegen.
»Willst du aufstehen?«
Gerlof lächelte und schüttelte den Kopf. Jetzt gerade wollte er
lieber nicht aufstehen.
»Ich sitze hier ganz ausgezeichnet.«
Früher oder später würde er mit seinen Töchtern über Ellas
Tagebücher sprechen müssen und sie fragen wollen, ob sie Genaueres über den
sonderbaren Besucher ihrer Mutter wussten.
30
B is
zu dem Augenblick, als Nilla am Esstisch kollabierte und Blut spuckte, hatte
die Familie Mörner ein sehr idyllisches Osterfest verbracht.
Per war es gelungen, sich selbst zu überlisten. Er hatte nicht
einsehen wollen, wie krank sie wirklich war. Aber er hätte es wissen können,
denn seit Ostersamstag hatte sie sehr erschöpft gewirkt. Sie hatte ihm zwar
nach dem Frühstück beim Gemüseschälen geholfen, aber die Arbeit ging ihr nur
langsam von der Hand, zwischendurch stand sie wie versteinert am Tisch und
starrte auf das Schneidebrett.
»Bist du müde?«, fragte er.
»Geht so ... Ich habe heute Nacht nicht so gut geschlafen.«
»Willst du dich vielleicht ein bisschen hinlegen?«
»Nein, es geht schon.«
»Du könntest heute einen kleinen Spaziergang an der Küste machen«,
schlug er vor. »Versuch doch, Jesper zu überreden, mitzukommen.«
»Hmm«, murmelte Nilla und fuhr fort, den Salat mit langsamen
Bewegungen in Streifen zu schneiden.
Per beobachtete sie angespannt aus den Augenwinkeln.
Das Fundament für die Steintreppe hatte er vergangenen Dienstag
erneuert, seitdem hatte er das kleine Ritual, jeden Morgen und Abend an die
Kante zum Steinbruch zu gehen und nachzusehen, ob alles noch an seinem Platz
war. Das tat er auch am Morgen des Ostersamstags, die Steine lagen unberührt an
Ort und Stelle. Er wollte bald an dem Projekt weiterarbeiten, damit die Treppe
eines Tages bis nach oben führte.
Die Wassergruben unten im Steinbruch begannen langsam auszutrocknen.
Im Sommer würden er und Jesper tolle Sachen dort unten machen, Fußball spielen
zum Beispiel.
Nilla natürlich auch.
Er wandte sich ab und ging um das Haus herum zu Ernsts ehemaliger
Werkstatt. Es war eine quadratische Holzhütte, nur etwa zwei Meter hoch. An
einigen Stellen konnte man auf den vom Wind gezeichneten Holzplanken noch Reste
der ursprünglichen roten Farbe sehen. An der einen Vorderseite waren zwei
kleine verschmutzte Fensterscheiben rechts und links neben einer pechschwarzen
Tür hingebaut.
Davor hing eine dicke Kette, die an einer Öse an der Hauswand
befestigt war. Allerdings war sie nur mit einem rostigen Nagel gesichert. Per
zog ihn ab und öffnete die Tür.
Die Luft in der Hütte war trocken von dem Kalksteinstaub, der
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