Blutstein
den
Boden bedeckte. Vor drei Sommern war er zum letzten Mal hier gewesen, als Ernsts
Verwandte sich die Gegenstände ausgesucht hatten, die sie mitnehmen wollten.
Die fertigen Schleifarbeiten, die direkt am Eingang gestanden hatten, waren
weg; die Sonnenuhr, das Vogelbad und die Lampenfüße. Zurückgeblieben waren die
unfertigen Skulpturen beziehungsweise jene Plastiken, von denen niemand so
richtig wusste, was sie darstellen sollten.
Sie waren in einer Ecke zusammengeschoben worden. Es waren
Steinblöcke, die wie aufgequollene, kopflose Körper aussahen oder wie Köpfe mit
tiefen Augenhöhlen und aufgerissenen Mündern. Einige Skulpturen sahen noch
nicht einmal aus wie menschliche Wesen.
Per betrachtete sie nicht eingehender, er schloss die Tür und ging
an die Straße zu den Briefkästen, um die Zeitung zu holen.
»Ihr Vater ist also der berühmte Jerry Morner!«, sagte Max. »Ich
kannte ihn nicht, aber den Namen habe ich natürlich schon oft gehört.«
Per hatte seit dem Nachbarschaftsfest nicht mehr mit Max Larsson
gesprochen, aber nun waren sie sich bei den Briefkästen begegnet.
»Haben Sie das?«
Per entfernte sich drei Schritte von den Briefkästen, aber Max
verstand das Zeichen nicht und redete einfach weiter:
»Klar. Jerry Morner, er war doch schon ein Halbpromi in den
Siebzigern, hat Interviews gegeben und ist lautstark in Pornodebatten im
Fernsehen aufgetreten ... und beim Militär hat man diese Blätter doch auch
gelesen, die er herausgegeben hat.« Er zwinkerte Per zu. »Na ja, gelesen – es
waren ja fast nur Fotos drin.«
»Ja.«
» Babylon hieß das eine davon«, plapperte Max weiter. »Und wie hieß das andere noch?
Sodom?«
»Gomorra.«
»Ja, stimmt. Babylon und Gomorra .
Die waren ziemlich teuer ... und man musste im Kiosk auch immer danach fragen,
sie hatten die nie in der Auslage liegen.« Er räusperte sich. »Natürlich lese
ich so etwas jetzt nicht mehr. Werden die noch verkauft?«
»Nein, die sind vom Markt.«
»Die Videofilme haben die Zeitschriften abgelöst, und jetzt gibt es
ja auch noch das Internet«, nickte Max kennerisch. »Die Dinge entwickeln sich
weiter.«
Per erwiderte nichts darauf.
»Wie hat er denn seine Modelle gefunden?«, fragte Max.
Per zuckte mit den Schultern.
»Ich hatte nie etwas damit zu tun.«
»Man fragt sich, was für ein Typ von Mädchen bei so etwas mitmacht«,
grübelte Max.
»Keine Ahnung«, antwortete Per, aber hatte sofort Reginas Lächeln
vor Augen.
»Man hat deren Gesichter ja ganz deutlich gesehen ... einige von ihnen
sind richtig hübsch gewesen.«
Per zuckte erneut mit den Schultern. Er hatte jetzt lange genug
höfliche Nachbarschaftspflege betrieben, daher wandte er sich zum Gehen.
»Na, die haben wohl ganz gut daran verdient«, hörte er Max hinter
sich sagen. »Und sie wurden um eine Erfahrung reicher.«
Per blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Er beschloss, den
Kindertest mit ihm zu machen. Er hatte das schon öfter getan.
»Haben Sie Kinder?«, fragte er ihn.
»Kinder?«, wiederholte Max und sah verwirrt aus, ehe er antwortete:
»Klar, ich habe drei, aus meiner ersten Ehe.«
»Töchter?«
Larsson nickte.
»Eine. Sie heißt Annika.«
»Max«, Per senkte seine Stimme, »was würden Sie sagen, wenn Sie
erfahren würden, dass Annika mit meinem Vater zusammengearbeitet hat?«
»Das hat sie nicht«, widersprach Max aufgebracht.
»Wie können Sie sich da so sicher sein? Hätte sie Ihnen das erzählt?
Was meinen Sie?«
Max schwieg betreten. Per ließ ihn so stehen und machte sich auf den
Nachhauseweg. Er war noch nicht weit gekommen, da knurrte Max hinter ihm:
»Du Schwein!«
Per ging weiter, ohne eine Regung zu zeigen. Er war diese Art von
Reaktionen gewöhnt, wenn er daran erinnerte, dass Jerrys Modelle Menschen
waren.
Aber leider war der Nachbarschaftsfrieden am Steinbruch jetzt wieder
empfindlich gestört.
Du Schwein .
Per klang die Beschimpfung im Ohr nach, während er das Osteressen
vorbereitete.
Jerry, Per, Nilla und Jesper – drei Generationen würden dieses Jahr
Ostern zusammen feiern. Es war leider zu kalt, um draußen sitzen zu können,
also deckte er im Wohnzimmer den Esstisch, der vor Ernsts alter Seemannskiste
stand. Während er die Teller verteilte, betrachtete er den höhnisch grinsenden
Troll, der in seiner Höhle verschwand. Und er fragte sich, warum der Troll
grinste und die Prinzessin weinte. Hatte der Ritter es nicht rechtzeitig
geschafft, ihre Tugend zu verteidigen?
»Pelle?«, fragte eine
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