Blutstein
die von links in das Bild schwebte. Da wusste er, dass Jerry nur
wenige Meter entfernt gestanden und geraucht hatte. Per konnte förmlich sein
Husten und die Anweisungen an die Mädchen hören, den Rücken zu strecken und
sich zu zeigen. Er hörte seine Stimme:
»Was ist los,
bist du schüchtern, oder was?«
Die Mädchen in der Zeitschrift erinnerten Per ein bisschen an
Regina, und er wusste auch, dass es ihn eigentlich erregen müsste, aber das klappte
nicht. Er hatte nur Augen für den Zigarrenrauch.
Per fröstelte und war wieder zurück am Steinbruch.
»Das Einzige, was wir also mit Sicherheit von Markus Lukas sagen
können ...«, sagte er und klappte die Zeitschrift zu, »... ist, dass er viele
Muskeln hat!«
Er hielt die Zeitschrift zwischen Daumen und Zeigefinger in die Luft
und reichte sie seinem Vater.
»Versteck die bitte gut ... oder wirf sie am besten weg. Ich gehe
jetzt die Zwillinge wecken.«
28
E rst
gegen sechs Uhr abends waren die Aufnahmen beendet, und Vendela konnte sich
endlich für ihre Joggingtour durch die Alvar umziehen. Sie dachte unentwegt an
den Elfenstein und die Münze, die sie in eine der Kuhlen gelegt hatte. Aber wie
schon beim letzten Mal stattete sie zuerst ihrem Elternhaus einen Besuch ab.
Die Allergiesymptome in Hals und Nase nahmen ab, sobald sie
losgelaufen war. Und schon nach kurzer Zeit hatte sie einen angenehmen Rhythmus
gefunden. Bereits eine Viertelstunde später erreichte sie den alten Bauernhof
nordöstlich vom Steinbruch. Sie betrat das Grundstück und blieb ruckartig
stehen.
Auf dem Rasen vor dem Haus stand ein Auto. Ein großer Volvo-Kombi
mit Dachgepäckträger. Die Kofferraumklappe und zwei Wagentüren standen offen,
außerdem die Eingangstür des Wohnhauses.
Die neuen Besitzer des Hauses waren offensichtlich über die
Osterfeiertage angereist. Vendela konnte sich nicht beherrschen, sie zog es
förmlich über den Rasen und auf die angelehnte Tür der Glasveranda zu.
Da tauchte plötzlich eine Frau in der Tür auf. Sie trat in den
Sonnenschein hinaus und bemerkte Vendela.
»Oh!«, sagte sie nur.
Sie war etwa zehn Jahre jünger als Vendela und sah sie verunsichert
an.
»Hallo!«, rief Vendela und lachte angespannt. »Ich habe nur kurz
angehalten, um mich auszuruhen, ich war unterwegs, joggen ...«
»Ach ja?«
»... ich bin hier aufgewachsen. Meiner Familie gehörte früher einmal
dieser Hof.«
»Dann haben Sie hier mal gewohnt?« Die Frau sah sofort
aufgeschlossener und freundlicher aus. »Kommen Sie doch rein, und sehen Sie
sich um. Es hat sich bestimmt einiges verändert.«
Vendela nickte und folgte der Frau durch die Glasveranda in den Flur
und weiter in die Küche. Sie erkannte den Raum sofort wieder, aber er schien
seit ihrer Kindheit irgendwie geschrumpft zu sein. Die neuen Besitzer hatten
die Wände frisch gestrichen, moderne Bänke aufgestellt und Fliesen verlegt. Es
roch auch ganz anders als früher, der Gestank nach ungewaschener Kleidung war
weg.
Von der Küche führte eine Treppe in den ersten Stock. Sie blieb am
unteren Absatz stehen.
»Dürfte ich nach oben gehen und mich umsehen?«
»Natürlich, aber da oben gibt es nicht so viel zu sehen.«
Langsam stieg Vendela die Treppe hoch, die Frau folgte ihr.
»Vier Jahre hat es gedauert, bis wir dazu kamen, hier oben mit den
Renovierungsarbeiten anzufangen«, erzählte sie und lachte erschöpft. »Aber dann
ist es doch auch ganz hübsch geworden.«
Vendela nickte schweigend. Ihr fielen keine Worte ein, das war ein
schwerer Gang für sie. Aber sie schaffte die letzten Stufen. Der Fußboden war
hell geschliffen und poliert – als sie hier lebte, war es dort oben schmutzig
braun, düster und staubig gewesen.
Und hier zur Rechten war die Tür gewesen, die in ein kleines
Schlafzimmer führte. Vor der Tür hatte ein Tischchen gestanden, auf das Vendela
morgens vor der Schule das Tablett mit dem Essen stellen musste.
Die Tür zu dem Zimmer war geöffnet, auf dem Boden lagen Legosteine
und Spielsachen, und sie hörte das helle Lachen eines kleinen Jungen.
Sie drehte sich um.
»Bleiben Sie lange hier?«
»Nein, nur über Ostern. Wir fahren am Montag schon wieder zurück.«
»Ich bleibe bis Mitte Mai«, erzählte Vendela und versuchte,
möglichst nüchtern zu klingen. »Wenn Sie möchten, könnte ich im Haus nach dem
Rechten sehen. Ich laufe ja ohnehin immer hier vorbei ...«
»Würden Sie das tun?«, fragte die Frau erstaunt. »Das wäre natürlich
großartig, hier auf der Insel gab es ja
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