Blutstein
Mörner und die anderen.
Dann kehrte sie dem Stein den Rücken und setzte ihre Tour über die
Alvar fort, an den spiegelglatten Wasserpfützen vorbei. Die Abendsonne strahlte
ihr im Westen entgegen, ein warmes Leuchtfeuer, das den Weg die Küste hinunter
wies.
Es war erst sieben Uhr, als sie zu Hause ankam. Die Zeit war langsam
vergangen, wie sie es immer tat im Reich der Elfen.
29
G erlof
saß in seinem Garten. Es war Karfreitag, der Tag, an dem Jesus Christus am
Kreuz gestorben war. Als kleiner Junge hatte man ihn gezwungen, den Tag damit
zu begehen, nichts zu tun. Man durfte nicht spielen, kein Radio hören, nicht
laut sprechen und auf gar keinen Fall lachen. Das Einzige, was man tun konnte,
war, still auf einem Stuhl zu sitzen. Jetzt war er alt und beging den Tag
ungefähr so, wie er ihn damals feiern musste, allerdings war das jetzt einfach
nur erholsam und gemütlich.
Er saß also in seinem Garten und wartete auf die Ankunft seiner
Kinder und Enkelkinder von der Westküste Schwedens. In der Zwischenzeit hätte
er so einiges machen können – er hatte Kunden, die ein neues Buddelschiff
bestellt hatten, und er wurde ziemlich gut dafür bezahlt. Aber erstens war Feiertag,
und zweitens wanderten seine Gedanken immer wieder zurück zu dem Bündel mit
Ellas alten Tagebüchern.
Er hätte gar nicht erst anfangen sollen, darin zu lesen.
Nun stand er auf und holte sich das Tagebuch des Jahres 1957. Er
machte es sich in seinem Gartenstuhl bequem, schlug eine Seite in der Mitte des
Buches auf und fuhr mit seiner Lektüre fort.
Heute ist der 16.
Juni 1957 , schrieb Ella mit ihrer tadellosen Handschrift.
Heute Nacht gab
es ein fürchterliches Gewitter, die Kinder und ich waren auf, um die Blitze zu
sehen. Dreimal schlugen sie im Sund ein, und das Wasser funkelte und prasselte
nur so.
Gerlof verschlief
das ganze Schauspiel, aber er ist Krach und Getöse wohl von der Seefahrt
gewohnt.
Gestern ist er
bis nach Långvik hochgeradelt, um ein neues Netz zu kaufen, dann fuhr er zurück
und legte es aus. Heute Morgen fuhr er dann gegen fünf Uhr raus, um es
einzuholen, fünfundzwanzig Flundern und sechs Barsche waren darin. Deshalb
hatten wir heute frischen Fisch in Mehlschwitze, herrlich.
In der Früh haben
Lena und Julia ein Rehkitz über die Straße springen und im Wald verschwinden
sehen.
Heute musste der
arme Witwer Fors seine letzten beiden Kälber verkaufen, der Schlachter aus
Kalmar kam um zwei Uhr. Jetzt hat er nur noch seine drei Kühe, um die sich
seine Tochter Vendela kümmert. Sehr bedauerlich, aber offenbar benötigt Fors
dringend Geld.
Ja, dachte Gerlof, da hatte Ella recht. Vendela Larssons Vater hatte
zeit seines Lebens Geldsorgen gehabt. Ein paar magere Kühe, die auf sehr
mageren Wiesen weideten, und dann seine Arbeit in dem kleinen Steinbruch, der
kaum noch mit den großen Steinbrüchen konkurrieren konnte, das kann nicht
leicht gewesen sein.
Er blätterte weiter auf die nächste Seite:
Heute ist der 27.
Juni 1957.
Es ist schon eine
Weile her, dass ich etwas geschrieben habe, aber die Zeit vergeht so schnell,
und ich habe so viel zu erledigen. Ein Tag folgt dem nächsten. Außerdem hat man
ja auch nicht immer gleich viel Lust zum Schreiben.
Sonnig und heiß
ist es noch dazu. Wir haben Hochsommer.
Gerlof ist nach
Kalmar gesegelt, um den Frachter vermessen und die Tonnage feststellen zu
lassen. Er ist gestern losgefahren und hat die Mädchen mitgenommen, die jetzt
Sommerferien haben. Aber ich habe kein Problem, allein zu sein. In Borgholm
findet heute zwar das Kaffeekränzchen der Nähgruppe statt, aber ich kann gut
darauf verzichten. Meistens wird nur über die Teilnehmerinnen hergezogen, die
nicht dabei sind, deshalb wird es jetzt gerade wahrscheinlich um mich gehen.
In den
Abendstunden ist der Ort voller Fasanenhähne, die von den Hühnern in den
Bauernhöfen angelockt werden. Aber die Bauern werden sich hüten, ihre Hühner
von den Fasanen besteigen zu lassen!
Das kleine
Kerlchen von der Weide kam heute wieder vorbeigeschlichen und bekam Haferkekse
und ein Glas Limonade von mir. Der ist so quirlig und ist die ganze Zeit in
Bewegung, aber er spricht kaum und erzählt mit keinem Wort, wer er ist und
woher er kommt.
Aber er sollte
ein Bad nehmen, und sein Haar ist so lang und ungekämmt. So etwas habe ich noch
nie gesehen.
Da hörte Gerlof plötzlich Motorengeräusche und zuckte zusammen. Ein
Auto näherte sich und bog langsam in seine Einfahrt.
Plötzlich hatte er es sehr eilig, das
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