Blutstein
also in ihrem Zimmer.«
Vendela nickte und erwiderte:
»Manchmal spürt man bestimmte Dinge einfach.« Sie wollte das Thema
wechseln, deshalb stellte sie eine Gegenfrage: »Ihre Familie ist schon wieder
nach Kalmar zurückgefahren?«
»Mein Vater ist noch hier. Aber meine Kinder sind zurück in Kalmar.«
»Meine auch ... also mein Mann. Mein kleiner Hund Aloysius und ich
sind hiergeblieben. Auf dem Fest letzte Woche hatte er sich ein bisschen
zurückgezogen, er mag große Gesellschaften nicht so sehr. Wollen Sie ihn mal
kennenlernen?«
»Gerne.«
Per folgte ihr zur Haustür.
Vendela schloss auf und warf einen Blick nach Osten über die Alvar
und nach Westen zum Strand.
»Wir wohnen hier zwischen den Welten der Trolle und der Elfen«,
bemerkte sie.
»Tun wir das?«, fragte Per.
»Mein Vater Henry hat mir immer erzählt, dass die Trolle unten im
Steinbruch leben und die Elfen in der Alvar. Und als sie sich in die Quere
kamen, gab es Krieg, und sie kämpften, bis Blut floss.«
»Ach wirklich?«
»Ja, unten im Steinbruch findet man noch Spuren dieses Kampfes.
Blutspuren.«
»Sie meinen den Blutstein, die Gesteinsschicht?«, sagte Per.
»Glauben Sie daran?«
Nachdenklich betrachtete er sie, und Vendela lachte nervös.
»Vielleicht, ja ... aber nicht an die Trolle.«
Er lächelte.
»Aber an die Elfen?«
»Doch.« Vendela wurde ernst. »Vielleicht gibt es sie wirklich. Aber
es sind freundliche Wesen, sie helfen uns.«
»Tun sie das?«
»Ja.« Und ohne nachzudenken, fügte sie hinzu: »Sie haben dabei
geholfen, den Stein Ihrer Tochter wiederzufinden.«
»Ach, wie das denn?«
»Ich habe sie darum gebeten, und sie haben mir ein Bild davon
gezeigt, wo er lag.«
Per erwiderte nichts, aber Vendela spürte, dass er sie musterte. Sie
hätte nicht so viel über Elfen plappern sollen, aber jetzt war es zu spät.
Etwas betreten standen sie sich an der Haustür gegenüber, deshalb
drehte Vendela sich um und rief:
»Ally!«
Ein paar Sekunden später hörten sie tapsende Schritte, und dann
erschien ein grauweißer Pudel in der Tür.
»Na, hallo«, begrüßte ihn Per.
Ally hob den Kopf und schnupperte, konnte den neuen Besucher aber nicht
ausmachen. Damit Per das nicht bemerkte, kniete sich Vendela schnell hin und
kraulte den Hund hinter den Ohren.
»Vielen Dank für die Runde«, sagte Per und wandte sich zum Gehen.
»Gleichfalls. Wollen wir morgen gleich noch mal?«
Eine direkte und aufrichtige Frage, und sie hatte noch nicht einmal
nervös kichern müssen.
Zuerst zögerte Per, aber dann nickte er.
Kaum hatte Vendela die Tür hinter sich geschlossen, da klingelte das
Telefon in der Küche. Einen Moment blieb sie neben Ally im Flur stehen. Sie
ahnte, wer das war, und wusste nicht, ob sie jetzt überhaupt mit ihm sprechen
wollte.
Es klingelte zwei-, drei-, viermal – beim fünften Klingelzeichen
hatte sie den Apparat erreicht und hob ab.
»Ja, bitte?«
»Wo warst du?«, fragte eine vorwurfsvolle Männerstimme. »Ich habe
dreimal angerufen.«
Wie erwartet war es Max.
»Nirgendwo«, antwortete Vendela schuldbewusst, »draußen, in der
Alvar.«
»Warst du joggen?«
»Ganz genau.«
»Allein? Wolltest du nicht mit dem Nachbarn laufen gehen?«
Vendela konnte sich nicht einmal erinnern, dass sie es Max gegenüber
erwähnt hatte. Aber natürlich erinnerte sich Max daran und musste sie sofort
darauf hinweisen. Diesen Kontrollzwang hatte sie nie begriffen. Sie schwieg
eine Weile, ehe sie ihm eine Lüge servierte:
»Nein, ich bin alleine unterwegs gewesen.«
»Bist du die Einzige im Ort, oder ist noch jemand da?«
»Ich weiß es nicht genau, aber da sind bestimmt noch Leute. Ich war
die meiste Zeit im Haus.«
»Okay ... ich habe jedenfalls mehrfach angerufen.«
Sie schwiegen. Vendela hörte tapsende Schritte in der Küche, Ally
kam auf sie zugewackelt. Sie schnipste mit den Fingern, und Ally hob den Kopf
und lauschte angestrengt, um den Weg zu ihr zu finden.
»Wie ist deine Lesung gelaufen?«, fragte sie dann.
»Ging so.«
»Sind viele Leute gekommen?«
»War okay, aber die haben kaum Bücher gekauft.«
»Ach, das wird schon noch.«
»Gibt es sonst noch was?«
»Was denn?«
»Hast du heute irgendwelche Tabletten genommen?«
»Nur zwei«, antwortete Vendela. »Eine morgens und eine nach dem
Mittagessen.«
»Prima«, lobte Max. »Ich muss jetzt auflegen. Ich gehe mit dem
Veranstalter essen.«
»Okay, schlaf gut.«
Als Vendela aufgelegt hatte, fragte sie sich, warum sie in Bezug auf
die
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