Blutstein
ihm wollte den ganzen Tag an ihrem Bett
sitzen und sie beschützen, der andere Teil wollte jetzt gleich aufstehen, gehen
und nie wieder zurückkehren. Seine Tochter in diesem Krankenbett liegen zu
sehen war für ihn unerträglich.
Per und Jerry setzten ihre Fahrt nach Öland fort und erreichten das
Haus am Steinbruch am späten Nachmittag. Wenigstens hatte er im Moment keine
Kinder mehr im Sommerhaus, um die sich Per kümmern musste. Und auch die meisten
Nachbarn waren abgereist. Das Anwesen der Familie Kurdin war verschlossen und
verriegelt.
Die anderen Nachbarn, das Ehepaar Larsson, schienen noch auf der
Insel zu sein. Das erinnerte ihn an die Verabredung mit Vendela zu einer
Laufrunde, und er freute sich darauf.
Als Per seinem Vater ins Haus half, nutzte er die Gelegenheit:
»Die Firma von Bremer und dir, Morner Art, was wird jetzt daraus?«
»Bremer«, sagte Jerry und schüttelte den Kopf.
Per meinte verstanden zu haben.
»Ja, Hans Bremer gibt es nicht mehr, dann musst du die Firma
abwickeln, Jerry, ein für alle Mal.«
Sein Vater nickte.
»War es das vielleicht, was dieser Markus Lukas wollte, als er dich
anrief?«, versuchte Per weiterzubohren. »Solltest du aufhören, Filme zu
machen?«
Jerry wirkte verwirrt und blieb stumm.
»Ich kann dir dabei helfen, Morner Art abzuwickeln«, bot Per an.
»Ich kann mich um das Praktische kümmern, zum Beispiel mit der Handelskammer
und deiner Bank Kontakt aufnehmen und mich um alles andere kümmern.«
Jerry blieb nach wie vor stumm, aber Per meinte ein winziges Nicken
bemerkt zu haben. Und er hoffte sehr – er wünschte es sich inständig –, dass
Jerrys Firma bald für immer der Vergangenheit angehören würde.
Keine Zeitschriften mehr, keine Filme.
Keine Ausflüge mehr in den Wald.
37
N achdem
Max seine Lesereise angetreten hatte, war Vendela zum ersten Mal allein in dem
Sommerhaus, das auf einmal noch größer wirkte als zuvor. Viel zu groß – das
Wohnzimmer mit seiner hohen Decke und den dicken Holzbalken erinnerte sie an
den Stall ihres elterlichen Hofes. Ihre Schritte hallten, wenn sie über den
Steinfußboden lief. Sie hatte den handgeknüpften Knoten von Gerlof an die
Küchentür gehängt, jedes Mal, wenn sie daran vorbeiging, musste sie lächeln.
Aber natürlich war Aloysius noch im Haus und eine willkommene
Gesellschaft. Und er war so lebhaft und munter! Es war geradezu unglaublich –
kaum hatte Max das Haus verlassen, hatte sich Ally aus seinem Korb begeben und
mehrere Runden im Erdgeschoss gedreht, ohne ein einziges Mal mit einem Möbelstück
zu kollidieren. Und Vendela fand auch, dass er sie ganz direkt ansah, ohne dass
sie ihn ununterbrochen rufen und mit ihrer Stimme dirigieren musste. Auf der
anderen Seite überraschte sie das nicht sonderlich, denn genau das hatte sie
sich ja gewünscht. Sie würde sich bald daranmachen, ihrem Buch über Elfen die
Geschichte von Allys Genesung hinzuzufügen, von Anfang bis Ende.
Aber jetzt würde sie mit Per Mörner den Küstenweg entlangjoggen.
»Hallo«, grüßte Per, als sie die Tür öffnete.
»Hallo!«, erwiderte Vendela.
»Sind Sie so weit?«
»Absolut!«
Sie ließen den Steinbruch hinter sich und fielen bald schon in den
gleichen Lauf- und Atemrhythmus. Sie liefen nebeneinander und parallel zur
untergehenden Sonne.
Die Abendkühle zog vom Sund über den Strand und die Felsen, und die
Sonne färbte den Himmel dunkelrot.
Als sie den Kiesweg erreicht hatten, erhöhten sie ihre Geschwindigkeit.
Vendela fühlte sich stark und konnte Pers hohes Tempo ohne Schwierigkeiten
halten. Sie hörte seinen tiefen und gleichmäßigen Atem, die Nähe zu seinem
großen Körper verlieh ihr neue Energie, sie hatte das Gefühl, dass sie es bis
nach Långvik schaffen würde.
Aber nach etwa drei oder vier Kilometern meinte Per:
»Wollen wir umdrehen?«
Er sah erschöpft aus.
»Klar, das genügt für heute.«
Sie machten oberhalb des Strandes eine kurze Pause und sahen
schweigend hinunter auf den dunkelblauen Sund, auf dem kein einziges Schiff
fuhr. Dann liefen sie zurück nach Süden, erneut in gleichem Takt.
Erst als sie den Steinbruch wieder erreicht hatten, sprachen sie
miteinander.
»Ich würde Sie gern eine Sache fragen«, begann Per etwas zögernd.
»Das mit dem Stein ... dem Glücksstein meiner Tochter aus Island. Wie haben Sie
das gemacht?«
»Ich?«, fragte Vendela überrascht. »Ich habe gar nichts gemacht.«
»Aber Sie wussten genau, wo ich ihn finden würde ... nämlich auf
Nillas Bett,
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