Blutstern
jeden Fall rechtzeitig am Eingang der Kirche stehen.
Sie traten unter den Torbogen vor der Kirche, gleichzeitig Fuà des Turmes aus dem 14. Jahrhundert, der zur ehemaligen Sandpforte der Aschaffenburger Stadtmauer gehörte. Dort warteten sie auf den Priester. Milde lächelnd kam der schlanke, weiÃhaarige Mann nach einigen Minuten auf sie zu.
»Wir haben heute eine ganz besondere Taufe«, sagte er und schaute Maria und Ilona an. »Welchen Namen haben Sie ihrem Kind gegeben?«
»Thomas, er soll Thomas heiÃen«, sagte Ilona. Sie hielt den kleinen Thomas in einer hellblauen Decke und ihre Arme begannen vor Aufregung zu zittern.
Der Priester stellte seine übrigen Fragen und geleitete die Taufgesellschaft nach vorn zur ersten Kirchenbank. Die Gemeinde sang âºNun bitten wir den Heiligen Geistâ¹ und Maria Beletto trat vor die Gemeinde, um eine Bibelstelle zu lesen. Maria las mit einer Inbrunst, dass einige aus der Gemeinde schmunzeln mussten und der Priester verständnisvoll lächelte. Dann trat er zum Altar und predigte.
Endlich begann die eigentliche Taufe. Maria trug den Kleinen nach vorn, der Priester zeichnete dem Täufling das Kreuzzeichen auf die Stirn, es wurden die Heiligen angerufen, Fürbitten gesprochen und das Kind am Taufbrunnen getauft.
»Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes«, war kaum zu hören, denn der kleine Thomas begann kräftig zu schreien und zu strampeln. Die Schmerzhafte Muttergottes mit ihrer Krone und der Jesusfigur lächelte gütig vom Altar herunter. Maria war glücklich. Aufgeregt kramte sie ihre Schatulle aus der Handtasche und legte dem kleinen schreienden Thomas ein goldenes Kettchen um den Hals, an dem ein Kruzifix hing.
»Bitte, segnen Sie das Kind mit dem Kruzifix«, bat sie den Priester. »Und hier, bitte, segnen Sie die mit.«
Sie zog aus ihrer Handtasche noch mehrere Kettchen, alle aus Gold, alle mit Kruzifix.
»Sie sind alle für ihn, falls er sie einmal braucht.«
Der alte Priester lächelte, salbte das Kind mit Chrisam und sprach über ihm und seinen Goldketten den Segen. AnschlieÃend wurde dem kleinen Thomas das weiÃe Taufkleid übergezogen, was er zur groÃen Belustigung der Gemeinde mit noch stärkerem Geschrei quittierte.
Die geweihten Kruzifixe legte Maria am Nachmittag in einen Briefumschlag und verstaute sie in der untersten Schublade ihrer Wohnzimmerkommode. âºFür Thomasâ¹, schrieb sie auf den Umschlag. Sie hoffte zwar, dass ihm das Kreuz, das er bei seiner Taufe erhalten hatte, nie verloren ging, aber sie hatte vorgesorgt.
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Einige Tage nachdem Thomas nach Kenia abgereist war, kam Maria Beletto spät am Abend von einem Spaziergang durch die Aschaffenburger Altstadt zurück. Sie hatte nicht schlafen können, deshalb noch eine Runde gedreht und Luft geschnappt. Im Schein der StraÃenlaterne kramte sie den Hausschlüssel aus ihrer Handtasche und wollte ihn gerade ins Schloss stecken, als sie zwei dunkle Schatten an der Hauswand sah. Du lieber Himmel, dachte sie, wer ist denn da hinter mir her? Sie wollte sich umdrehen, aber dazu kam sie nicht mehr. Von hinten wurde sie zu Boden gerissen, schrie entsetzt auf, doch schon im nächsten Augenblick schoben ihr die maskierten Gestalten einen Knebel in den Mund und brachten sie zum Schweigen.
»Die erzählt dem Kommissar nichts mehr«, freuten sich ihre Peiniger.
Sie fielen über sie her und begannen ihr Fesseln anzulegen, sodass sie sich nicht mehr rühren konnte. Die Fesseln schnitten in ihre schmächtigen Arme und Beine und taten ihr weh. Durch die Nase bekam sie schlecht Luft und hatte das Gefühl, sie müsste im nächsten Augenblick ersticken. Maria geriet in Panik. Sie sah die Sandgasse entlang. Alles still, kein Mensch mehr unterwegs, der ihr hätte helfen können.
Oh Gott, hilf mir, begann sie im Stillen zu beten,
»Wir bringen dich zur Sandkirche«, flüsterten ihr die beiden dunklen Gestalten ins Ohr, »das wird dir gefallen.«
Obwohl Maria stets gern in die Sandkirche gegangen war, hatte sie diesmal Angst, höllische Angst. So spät am Abend wurde dort keine Messe gelesen. Mitten in der Nacht war die Tür verschlossen. Die beiden Maskierten schleppten sie am Gemüseladen vorbei, an der Metzgerei, und schoben sie unter den Torbogen, direkt vor den Kircheneingang. Maria versuchte sich zu wehren, doch es war aussichtslos.
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