Blutstern
Sie drückten mit ihren Handschuhen die Türklinke an der schwarzbraunen Kirchentür prüfend nach unten. Die Tür öffnete sich nicht.
»Gib das Brecheisen.«
Sie schoben das Brecheisen mit seiner schmalen Seite zwischen die Türblätter, wuchteten kräftig, die Tür knarrte, als ob sie sich verzweifelt wehren wollte. Dann sprang der linke Türflügel auf und schlug Maria gegen die Stirn. Sie schoben sie durch die Flügeltüren des Windfangs und sie sah die Kirche vor sich, in der sie fast täglich gebetet hatte. Obwohl es dunkel war, schimmerte im Altarraum der Schrein der Schmerzhaften Muttergottes. Sie kannte die Muttergottes im Schlaf, brauchte sie nicht zu sehen und wusste doch, dass sie da war. Links davon erahnte sie den Seitenaltar mit dem Bildnis des Heiligen Martin, dem Aschaffenburger Schutzpatron. Oh hilf mir, betete sie.
Ãber den roten Teppich im Mittelgang schleppten sie Maria nach vorn.
»Schade um sie, leider weià sie zu viel.«
»Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Vor dem Altar warfen sie Maria auf den Rücken. Sie reckte die gefesselten Hände zum Gebet nach oben, konnte die Muttergottes noch sehen, wenn sie ihren Kopf ganz in den Nacken bog und über die Stirn nach oben schaute.
Nur du kannst mich noch retten, betete sie. Bitte hilf mir!
»Jetzt den Blutstern.«
Sie rissen ihr die Bluse auf, hielten sie mit ihren Plastikhandschuhen fest und schnitten ihr in die Brust. Es war nicht der Schmerz, der sie quälte. Es war das Zeichen, das sie fühlte, das sie zuerst erahnte und dann deutlicher spürte: dieser fünfzackige Stern, gegen den sie sich ihr Leben lang gewehrt hatte und den sie ihr in Brust und Bauch schnitten, ausgerechnet ihr, zu der dieser Stern am wenigsten passte.
»Hast du das Katzenblut?«
»Ja, gib den Pinsel, los schnell!«
Sie zogen Linien um sie herum und Maria erinnerte sich, dass Ilona auf einem Stern aus Katzenblut im Pompejanum gefunden wurde. Jetzt war sie dran. Es mussten Ilonas Mörder sein, aber sie konnte nichts gegen sie ausrichten. Maria betete. Mehr konnte sie nicht tun. Sie dachte an Thomas. Er war in Afrika, weit weg von hier, zu weit, um ihm Adieu zu sagen. Sie dachte an die Goldkettchen mit Kruzifix, die sie für ihn hatte weihen lassen. Sie sah hoch zur Schmerzhaften Muttergottes, als der erste Stich sie in die Brust traf. Sie dankte ihr für alles, was sie von ihr erhalten hatte und ergab sich in ihr Schicksal, das scheinbar so für sie bestimmt war. Sie hielt die Hände zusammen, trotz der Schmerzen, krampfte die Finger ineinander, betete bis zum letzten Augenblick, zu ihrer geliebten Muttergottes â¦
15
Â
Am Montag fuhren sie nach Mombasa. Thomas wollte eine der Firmen besuchen, die ihm Johann Flieger genannt hatte. Sabine freute sich darauf, bei der Gelegenheit diese quirlige Stadt zu sehen.
»Moitex Clothing Manufacturers«, nannte Thomas dem Taxifahrer das Ziel. Der lachte verlegen und schien nicht zu wissen, was gemeint war.
»George Morura Street«, fügte Thomas hinzu und zeigte seinen Zettel, auf dem die Anschrift notiert war.
»Yes, yes«, murmelte der Fahrer und startete den Wagen.
Die Hitze stand in den StraÃen und die Luft war geschwängert von den Abgasen der Busse und Laster, die sich durch die Stadt quälten. Thomas fragte sich, ob der Fahrer wirklich wusste, wo sie hinwollten. Sie schienen eher eine Stadtrundfahrt zu machen, als zu dieser Firma zu finden. Von der Mombasa Road bogen sie in eine schmalere StraÃe ab. Obwohl sie direkt im Zentrum lag, machten viele Häuser einen heruntergekommenen Eindruck. Die verrosteten Wellblechdächer erinnerten mehr an Slums als an vernünftige Behausungen. Ein Gewirr von Hochspannungsleitungen suchte sich über windschiefe hölzerne Masten seinen Weg durch die StraÃen. Das schneeweiÃe Minarett einer Moschee richtete seine Lautsprecher in alle vier Himmelsrichtungen. Endlich hielt das Taxi vor einem zweistöckigen Gebäude, das etwas besser aussah als die übrigen, aber auch mit einem verrosteten Wellblechdach gedeckt war.
»Yey, yes«, lachte der Fahrer. »Moitex here.«
Thomas stieg aus und entdeckte tatsächlich neben dem Eingang ein unscheinbares Firmenschild. âºMoitex Enterprisesâ¹ war darauf zu lesen. Er bezahlte das Taxi, gab ein ordentliches Trinkgeld und wagte sich mit Sabine in das Gebäude hinein. Das Innere des Gebäudes
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