Blutsvermächtnis (German Edition)
Zähnen. Joshua verfluchte diesen Ort, wo immer er sein mochte; den ominösen Elia Spops; das bescheuerte Gehabe mit der Anredeform. Er kam sich vor wie an einen europäischen Königshof ins 18. oder 19. Jahrhundert zurückversetzt. Der hatte doch ’ne Schraube locker. Eher mehr als eine. Auf keinen Fall würde er ihm nochmals Rede und Antwort stehen und mehr über seine Person oder Beweggründe offenbaren. Er musste einen Weg finden, hier herauszukommen.
Während Joshua sich aufraffte und mit einer Hand den ruinierten Frack zu glätten versuchte, stieg ihm allmählich zu Bewusstsein, dass er sich in einer verdammt bescheidenen Ausgangsposition befand. Offiziell tot, äußerlich um zwanzig Jahre verjüngt, eingesperrt bei einem Monster weiß Gott wo.
Verteufelt miserable Aussichten.
3 Spätwerke des Philosophen Platon,
428/427 -348/347 v. Chr.
4 Arzt
5 Höflichkeitsform
Ranua, Finnland
N evaeh blickte auf ihre neue Armbanduhr. Es war bereits Nachmittag, sie hatte fast sechszehn Stunden geschlafen. Wirklich ausgeruht fühlte sich dennoch anders an, obwohl sie nochmals eingenickt sein musste, nachdem sie sich mit ihren Erinnerungen gequält und vergeblich danach getrachtet hatte, sie unter der Dusche fortzuspülen. Sie wog den unbestimmten Eindruck ab, dass die Träume tatsächlich zurückgekehrt seien – erinnerte sich an nichts Konkretes und das beruhigte sie. Ein wenig. Sie irrte sicherlich und nur die Begegnung mit der Vergangenheit hatte diese Wunde aufgerissen. Zur Hölle, sie wollte es so! Diesen Grund und sonst keinen. Der Schlüssel zu ihrer Gedankenschublade war bestens verwahrt und die Träume würden nicht von Neuem anfangen, sich gar heimlich in ihren Geist schleichen.
Nevaeh lauschte in das totenstille Haus hinein. Offenbar schlief Catalina noch. Ein kompletter Tag Reisedauer von L. A. über Paris und Helsinki nach Rovaniemi, die Fahrt bei Eis und Schnee bis hierher, dazu die Zeitverschiebung – logisch, das machte dem Körper zu schaffen.
Sie schloss die Lider. Wie sehr Dad ihr fehlte. Wie sehr sie Noah vermisste. Natürlich war ihr klar gewesen, dassDad nicht der Jüngste war, dass er eines Tages von ihnen ginge. Aber doch nicht so früh. Nicht so unerwartet. Nicht jetzt. Nicht auf diese Weise. Sie weinte. Diese spärlichen Informationen … das Unglaubliche, das Varela versucht hatte, ihr aufs Brot zu schmieren. Schießerei mit Guerilleros. Waffenschieberei. Was für ein ausgemachter Blödsinn. Der Schmerz schnürte ihr die Kehle zu. Ihr Gewissen meldete sich mit dem Vorwurf des Egoismus. Das war gemein. Bestimmt gab es ihr einiges vorzuwerfen, jedoch nicht Selbstsucht. Selbstverständlich, es war anzunehmen, dass man die Toten in Kürze aus Chile ausflöge und nur zu intensiv stand ihr vor Augen, dass Noah kaum etwas übrig blieb, als sich allein um alles zu kümmern. Sie war überzeugt, dass er es täte, ganz gleich, wie brutal sie ihn vor den Kopf gestoßen, ihm erneut wehgetan hatte. Er konnte zum wiederholten Mal nicht wissen, wie ihm geschah. Hätte sie nur eine andere Chance.
Weitere Tränenbäche liefen ihr Gesicht hinab. Sie presste die Wangen in das Kissen und schluchzte. Verflucht, sie durfte ihm nicht einmal unter diesen Gegebenheiten gegenübertreten. Sie würden nicht gemeinsam an Dads Grab stehen und ihre Trauer teilen. Wahrscheinlich war das der Hauptgrund, warum sie sich entschlossen hatte zu fliehen. Es gab keinen für Außenstehende nachvollziehbaren Grund, ihre Weigerung, wenigstens das Begräbnis des Vaters an Noahs Seite zu verbringen, zu verstehen. Selbst wenn sie in L. A. geblieben wäre – müsste einer fernbleiben. Ihre Gabe würde ihn töten, ihre Träume real werden wie bei Jannik und Mom. So oder so – eine Lösung, einen Kompromiss, gab es nicht, also hatte sie die einzige Wahl getroffen. Es war keineswegs Eigennutz, der dahintersteckte.
Missmutig schwang sie die Beine aus dem Bett. Sofort biss die Kälte, die über Nacht ins Haus gekrochen war, in ihre Haut. Höchste Zeit, dass sie Holz nachlegte. Sie zog einen Bademantel und Pantoffeln an und schlich in das Erdgeschoss. Der Umstand erwies sich als überflüssig, denn Catalina werkelte bereits in der Küche, bewegte sich aber ebenso leise und behutsam wie sie. Unfreiwillig lachte Nevaeh. Ihre Ex-Nanny häufte Speisen auf dem Esstisch auf, als nahte eine Hungersnot, dabei war Nevaeh ein Toast schon zu viel. Nachdem sie jedoch den Ofen angefeuert und eine Tasse starken Kaffee getrunken hatte, griff sie mit
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