Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
gründlich durchleuchtet worden, um eventuelle Liebhaber ausfindig zu machen, jedoch ohne Resultat.
Reynolds lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er klappte die Aktenmappe zu und dachte über mögliche Verbindungen zwischen den Verbrechen nach.
Das Feld der Ermittlungen nahm zusehends größere Ausmaße an.
»Die Drogen sind die Geißel der Menschheit, sag ich dir. Die standen bestimmt unter Kokaineinfluss, die Mörder«, kommentierte ein Kollege vom Drogendezernat, der zusammen mit Bernardi einen Kaffee trank, das Massaker. Sie unterhielten sich im Gang, da hörten sie ein Telefon klingeln. Es war das von Bernardi, der sogleich in sein Büro stürzte und abnahm.
»17. Revier, Detective Bernardi.«
»Michelino?«
»Wer spricht da?«
»Hier ist Salvatore, dein Onkel aus Italien«, antwortete die Stimme am anderen Ende. »Wie spät ist es bei euch?«
»Onkel Salvatore, die Leitung ist nicht besonders gut. Hier ist es zwanzig nach elf abends. Ist etwas passiert?«, antwortete Bernardi in unsicherem Italienisch.
»Nein, ich wollte nur wissen, was bei euch da drüben los ist. Ich habe gestern Abend in der Bar zusammen mit ein paar Freunden die Fernsehnachrichten gesehen, dort war die Rede davon, dass mehrere Italiener abgeschlachtet wurden … Wir sind alle ganz schockiert hier …«
»Abgeschlachtet? Was?«
»Michelino, so viele Morde, das ist ja wie zu Al Capones Zeiten … Hörst du mich jetzt besser?«
»Ja, ich habe dich verstanden, mehrfacher Mord, wir haben jetzt viel Arbeit, Onkel …«
»Pass auf dich auf, begib dich nicht unnötig in Gefahr, das sind Bestien.«
»Was?«
»Schlimmer noch als wilde Tiere …«
»Keine Angst, Onkel Salvatore. Wie geht es euch denn? Was macht die Tante? Und Mario?«
»Gut, gut, es geht alles seinen gewohnten Gang, nur die Altersbeschwerden, du weißt ja. Wir haben dir ein Paket geschickt mit Salami, Esskastanien, getrockneten Tomaten …«
»Danke, ich rufe euch an, wenn es angekommen ist. Ich hoffe, wir sehen uns im nächsten Sommer, wenn ich Urlaub habe.«
»Versprichst du es?«
»Ja, ich komme nach Sizilien.«
»Also dann, auf bald«, verabschiedete sich der Onkel.
»Ja, bis bald …«, antwortete Bernardi, aber die Verbindung war schon unterbrochen. Er hatte sagen wollen: Bis bald, lieber Onkel, ich umarme euch. Langsam legte er auf.
Er erinnerte sich an seinen ersten Aufenthalt im Heimatdorf seiner Eltern, Piazza Armerina, als er gerade sieben Jahre alt war und mit seinem Cousin Mario, dem Sohn von Onkel Salvatore, in einer langen, engen Gasse Fahrrad fuhr. Dieser kurze Ausflug in die Vergangenheit wühlte ihn auf, und die schmale Gasse erschien ihm nun wie der alltägliche Trott seines Lebens.
Wieder klingelte das Telefon. Es war Reynolds, der ihn in sein Büro bat. Er wollte ihn über die neuesten Entwicklungen informieren.
Montag, 3. November
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe.
Sämtliche Zeitungen stellten auf den Titelseiten die Behauptung auf, dass es sich um Mafiamorde handelte. Manche vermuteten sogar, dass ein neuer Krieg zwischen zwei Verbrecherorganisationen ausgebrochen war, und prophezeiten eine lange Serie von Gewalttaten. Es ließ sich natürlich auch nicht vermeiden, dass alle die Erschießung des Portiers mit den Morden im 19. Stock in Verbindung brachten.
Die New York Post brüllte in fett gedruckten Großbuchstaben heraus:
MAFIA-MASSAKER IN MANHATTAN.
EIN BLUTSONNTAG.
Marktschreierische Aufmacher dieser Art blieben sonst Kriegen oder nationalen und internationalen Katastrophen vorbehalten. In Ermangelung solcher taten es aber auch ein paar Morde. So war der Lauf der Welt.
Unter der Schlagzeile prangte ein Foto von der Eingangstür des Hauses an der East 42nd Street. Das Mafiamassaker in New York bildete auch in den Abendausgaben der italienischen Medien die Titelstory. Die vielen Korrespondentenberichte und die Meldungen, die von den amerikanischen Presseagenturen in die diversen Verteiler eingespeist wurden, ließen keinen Zweifel mehr: Es handelte sich um eine brutale Hinrichtung durch eine Mafiaorganisation.
Es war kurz vor sieben, aber schon schlichen sich die rosig bläulichen Lichtstreifen des Morgengrauens ins Zimmer.
John Reynolds lag noch dösend im Bett, als das Telefon auf seinem Nachttisch läutete. Er schlug mühsam die Augen auf, griff zum Hörer und meldete sich schläfrig.
»Hallo?«
»Lieutenant Reynolds?«
»Am Apparat.«
»Hier ist Dick Moore. Habe ich Sie geweckt?«
»Nein, worum geht
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